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Vorwärts in die Vergangenheit

■ Auf dem Umweg der Rückbenennungen feiern Monarchie und Militarismus fröhliche Urständ

Straßennamen sind häufig die Duftnoten, die die jeweiligen Machthaber hinterlassen. Immer aber auch sind sie Zeugen einer politischen Kultur. Umgekehrt ist die Umbenennung von Straßen nach einem gesellschaftlichen Umbruch Dokument des Umgangs mit der eigenen Geschichte. In der früheren DDR ist dies eine Geschichte der verpaßten Chancen. Ähnlich wie bei der Verfassungsdebatte ist auch bei den Straßenumbenennungen landauf landab die Möglichkeit verschenkt worden, eigenständige Akzente zu setzen und damit auch den Altbundesländern Impulse zu geben, die eigenen Straßennamen zu überdenken. Denn die Umbenennungen in der Ex-DDR sind fast ausschließlich Rückbenennungen in wahrlich nicht immer gute alte Zeiten. „Es wird dort völlig phantasielos immer nur in eine Richtung gedacht, nämlich rückwärts. Als ob es die DDR nie gegeben hätte“, konstatiert Jürgen Karwelat, Straßennamenfachmann von der Berliner „Geschichtswerkstatt“. Dabei hätte man durchaus die Chance gehabt, Versäumnisse auch des Westens zu korrigieren: die heillose Unterrepräsentanz von Frauen auf Straßenschildern und Stadtplänen, die fehlende Ehrung jüdischer Persönlichkeiten, die Würdigung zeitgenössischer Personen, die Zivilcourage und neues Denken gewagt haben. Stattdessen haben sich die Gemeinden in den neuen Ländern fast durchgängig für einen Weg entschieden: für Preußens Gloria und Brehms Tierleben.

Selten behutsam, dafür häufig mit peinlich-rabiatem Überschwang haben viele Städte und Dörfer mit Kommunisten und Sozialisten aufgeräumt. In Rostock zum Beispiel, wo in den letzten Monaten jede zehnte Straße ihren Namen wechselte, durften immerhin etliche kämpferische Antifaschisten bleiben, doch Karl Marx wurde abgehängt. Im Erzgebirgsdorf Marbach dagegen befand man, daß ein alter kommunistischer Widerstandskämpfer „nicht mehr in unsere Zeit paßt“. Im benachbarten Augustusburg mußte neben Engels und Thälmann der Sozialdemokrat August Bebel gleich mit dran glauben. Im sächsischen Grimma konnte die unverfängliche „Straße des Friedens“ nur mit Ach und Krach vor einer Umbenennung gerettet werden. In Berlin wurde die gesamte Flotte der Ausflugsdampfer umgetauft. Aus Johannes R. Becher wurde die „MS Mecklenburg“, das Fahrgastschiff Heinrich Mann heißt nun schlicht „Sachsen“. Dresdens einstige Dimitroff-Straße ist nun dem Sachsenfürst Augustus geweiht. Und im Ostseebad Binz mußte selbst der Schriftsteller Maxim Gorki seinen Namen lassen — zugunsten von Reichskanzler Bismarck.

Auf dem Umweg der Rückbenennungen feiern preußische Monarchie und Militarismus fröhliche Urständ. Da wimmelt es nur so von Wilhelms und Friedrichs, von Markgrafen und Kurfürsten, Husaren und Grenadieren. Wo sich kein Adliger oder Feldherr finden läßt, da sucht man nach wertneutralen geographischen Bezeichnungen oder sucht Zuflucht bei unverfänglicher Flora und Fauna. Da wird aus Otto Grotewohl „An der Holzwiese“ und aus Friedrich Engels „Am Rehberg“. Die neuen Bundesländer, sie kopieren schlicht das schlechte Alte. Dabei hat die alte Bundesrepublik, so Jürgen Karwelat, in punkto Straßennamen „selbst etliche Leichen im Keller, und alle Versuche, an die heranzukommen, sind bisher gescheitert.“ Allein in Berlin tragen noch mehr als hundert Straßen die Namen, die ihnen die Nazis verordneten. Von den zahlreichen Umbenennungen nach Kriegsende, die sich noch auf dem Stadtplan von 1946 finden, wurden etliche wenig später wieder rückgängig gemacht. Vor allem militaristische Namen kehrten zurück. Nun finden sie ihre Doppelung im Osten.

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