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Die Botschaft der Sadhvi Ritambhara

Im indischen Wahlkampf wirbt die 25jährige Starrednerin der Hindu-Organisation VHP mit aggressiven Parolen für eine antipluralistische Gesellschaft/ Nicht-Hindu-Kulturen werden verdammt/ Starker Zulauf für die Fundamentalisten  ■ Aus Jodhpur Bernard Imhasly

Als Sadhvi Ritambhara zu sprechen begann, ging hinter dem Burghügel von Jodhpur die Sonne unter. Wäre dies nicht ihr sechster Auftritt an diesem Tag gewesen, mit den obligaten Verspätungen einer Fahrt von 250 Kilometern, über holprige Straßen und dichtbesiedelte Kleinstädte, hätte man eine perfekte Regie annehmen müssen: Die orange Farbe von Sadhvis langer Nonnenrobe und jener der Hindu-Mönche auf dem Podium hinter ihr erhielt im letzten Licht des Tages eine leuchtende Qualität, deren tiefere Bedeutung den Zuhörern nicht entgehen konnte. War nicht Orange die Farbe des anbrechenden und auslaufenden Tages und damit das hinduistische Symbol für den Kreislauf der Zeit, von Tod und Wiedergeburt? War sie nicht — für jene, welche die Illusion des Lebens durchschaut haben — das äußere Zeichen für die Entsagung von allem Weltlichen?

Entsagung war allerdings nicht das Thema, das die Menge zu hören bekam, sobald ihnen Sadhvis aufgerauhte Stimme aus den zahlreichen Trichterlautsprechern entgegenschlug. Vielmehr war es der Tod, den sie immer wieder herausfordernd ansprach und dessen Verkörperung sie gleich von Beginn an in den Muslimen lokalisierte: „Sie haben mir mit dem Tod gedroht. Sie sollen kommen. Ich bin bereit, für mein Anliegen zu sterben“, und sie sagte es in einem Ton, der auch meinen konnte, „für mein Anliegen zu töten“. Das Anliegen: die Erbauung des Tempels für Gott Ram an dessen Geburtsplatz, der durch eine Moschee entweiht worden ist, die deshalb abgerissen werden muß — und koste es dabei Leben, eigenes oder das von anderen.

Aggressive Hindu-Organisationen

Es ist eine Botschaft, die Sadhvi Ritambhara, eine 25jährige Frau aus dem Punjab, landauf, landab verkündet, seitdem sie vor einem Jahr aufzutreten begann. Sie ist die Starrednerin der „Vishwa Hindu Parishad“ (VHP), weil sich ihr jugendliches Alter und ihr Geschlecht so schlecht mit dem haßerfüllten und höhnischen Inhalt ihrer Reden zu vertragen scheinen. Ihr Appell geht weit über den Ram-Tempel hinaus, es ist ein Aufruf gegen die „Unterdrückung der Hindus durch die Muslime“. Es waren ihre Reden gewesen, die letztes Jahr Ayodhya-Pilger antrieben, ins Feuer der Polizei zu laufen. Ist sie für die als kulturelle Organisation firmierende VHP die Lanzenspitze einer militanten Bewegung, so ist sie für die politische „Bharatiya Janata Partei“ (BJP) eine oft peinliche Bundesgenossin. Sadhvi legt die aggressive und fanatische Seite dessen bloß, was die BJP viel harmloser als eine Neufindung des hinduistischen Charakters Indiens verkündet, eines Charakters, dessen weites Netz religiöser Toleranz natürlich auch andere Religionsgemeinschaften einschließen soll. Der VHP wie auch deren ideologischer Kaderorganisation, der RSS („Rashtriya Swayamsewak Sangh“), geht es um die Herausbildung einer antipluralistischen Hindu-Gesellschaft, der sich andere Gemeinschaften unterzuordnen haben. Für die BJP dagegen soll der Hinduismus lediglich das Gefäß für die Vielfalt religiöser Ausdrucksformen sein. Dieses viel diffusere — und damit schwächer artikulierte — Gesellschaftsziel bringt sie daher in eine ideologische Abhängigkeit der viel straffer geführten VHP und RSS, die in den letzten Jahren durch eine personelle Durchsetzung von Parteipositionen durch RSS-Kader noch enger geschnürt worden ist.

Feindbild: Muslime

Dies wurde auch in Rajasthan sichtbar, wohin die VHP Sadhvi Ritambhara letzte Woche in den Wahlkampf sandte. Die strengen Regeln der Wahlbehörde untersagen den Parteien religiöse Wahlappelle. Der VHP als kulturellem Verein steht es dagegen frei, sich über religiöse Themen zu äußern. Sie muß lediglich darauf achten, keine Partei zu empfehlen, aber ihre Aufforderung, die orange Farbe zu wählen, genügt — das Wahlsymbol der BJP ist eine Lotusblüte in einem orangefarbenen Feld. Geschickt bedient sich Sadhvi auch historischer Parallelen. In Rajasthan ist Geschichte überall präsent. Der Kampf der Rajputs um die Unabhängigkeit ihrer Fürstentümer wird in der manichäischen Sicht der VHP zu einem Kampf gegen die muslimischen Invasoren. Und wenn sie gegen diese ins Feld zogen, trugen die Kämpfer die „Shaka“, die zeremonielle, orangefarbene Robe, über der Rüstung, als Zeichen ihrer Todesbereitschaft. Die zurückgebliebenen Frauen wiederum waren, ebenfalls in orangefarbenen Kleidern, bereit, „Johar“ (kollektiven Selbstmord) zu begehen, sollten die Muslime drohend vor den Toren stehen. Sadhvi sieht darin das Modell für die heutige Situation, denn 900 Jahre muslimischer Herrschaft und britischer Kolonialisierung endeten nicht in der Unabhängigkeit Indiens, sondern wurden von „Pseudo-Säkularisten wie Gandhi und Nehru“ verlängert, da sie im Namen des Minderheitenschutzes die Muslime weiterhin privilegierten, während die Hindus sich ihrer religiösen Praktiken zu schämen hatten.

Zweierlei Hinduismus

Wird die indische WählerIn am 23.Mai dem gewalttätigen Aufruf der VHP Folge leisten, oder wird auch diese extreme Position in diesem schier unerschöpflich aufnahmefähigen Land, in dem so viel Widersprüchliches beinahe nebeneinander lebt, aufgesogen und eingeebnet werden? Die 35.000 disziplinierten Zuhörer Sadhvis im Gandhi Maidan von Jodhpur, von VHP- Ordnungshütern in orangefarbenen Kopfbändern sauber aufgereiht, ließen sich erst am Schluß von ihrer immer heisereren Stimme zu geballten Fäusten und hochgereckten Armen bewegen, aber ihrem mehrmaligen Stakkato-Ausruf „Hindustan Hamara Hai“ („Indien gehört uns“) konnten sie nicht widerstehen und gaben ein enthusiastisches Echo. Wer jedoch, erschrocken und beeindruckt, die Veranstaltung verließ, wurde sogleich über die Relativität großer Zahlen in diesem Land von 850 Millionen Menschen belehrt: Die Menge, die in die Stadt zurückfloß, verschwand sogleich im Verkehrsgewühl und der Menschenmasse, die sich auf der Suche nach abendlicher Kühlung durch die Straßen bewegte. Dort, unter den vielen farbigen Zeltdächern, die auf Verkehrsinseln und entlang der Straßen aufgespannt waren, ruhten Frauen und Männer, in ihren hellen Ghagra- Röcken und gewickelten Turbanen leicht als Bauern erkennbar, und gaben Zeugnis von einem Hinduismus anderer Prägung. Es waren Dorfbewohner auf ihrer alljährlichen Pilgerfahrt, einer siebentägigen Umgehung der Stadt Jodhpur, bei der sie in verschiedenen Tempeln für einen reichen Monsunregen beteten.

Zwiespältige Wirkung

Dennoch kann die Wirkung der VHP-Kampagne nicht unterschätzt werden. Am Morgen nach Sadhvis Vortrag ertönte ihre Stimme bereits über Lautsprecher in den Straßen von Osyan. Der Ort liegt etwa 60 Kilometer nördlich von Jodhpur und bildet die Grenze zwischen der Steppenlandschaft und der Großen Rajasthan-Wüste im Westen. Im Straßenbild dieser „Frontier Town“ tauchte denn auch, neben den Gesichtern der Ladenbesitzer, Handwerker und Pilger des berühmten Jain-Schreins, hin und wieder die Gestalt eines Hirtennomaden auf. Niemand schien sich jedoch um die Stimme zu kümmern, die über alle hinwegschlug. „Die BJP ist gut“, meinte ein Bauer aus dem nahen Dorf Khudiala, „das Erbauen eines Ram- Tempels ist auch gut. Aber kann man ein Land regieren, indem man einfach einen Tempel baut?“ Die Reaktion des Mannes mag ein Hinweis sein, daß die BJP zum Gefangenen ihres eigenen Erfolges geworden ist, zu einer Partei mit einem Ein-Punkt- Programm, das lautet: Erbauen des Ram-Tempels. Zwar versuchte sie auf einem Parteitag im Januar, ihren Ram-Slogan auf „Raum aur Roti“ („Gott und Brot“) auszuweiten. Dennoch wird ihre orange Flagge mit dem Lotus in der Mitte weit und breit mit dem Tempelbau und mit dem letztjährigen Kreuzzug ihres Präsidenten L.K. Advani nach Ayodhya gleichgesetzt. Die Tiraden Sadhvi Ritambharas gegen die Muslime dürften aber in vielen Hindus, für die sich die Essenz des Glaubens gerade in der Vielfalt religiöser Audrucksformen äußert, auch Zweifel an der BJP geweckt haben. Und in den Dörfern Indiens wissen die Leute aus alltäglicher Erfahrung, daß der Muslim heute nicht mehr als rücksichtsloser Bilderstürmer auftritt, sondern viel wahrscheinlicher der arme Nachbar ist, Mitglied einer angstvollen und orientierungslosen Minderheit.

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