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Wird in Italien die Ölpest weggeredet?

Italien versucht die Umweltkatastrophe nach der Explosion der „Haven“ mit PR-Mitteln zu lösen  ■ Von Werner Raith

Folgt man den Erklärungen der oberitalienischen Fremdenverkehrsbüros, so ist das heute nicht mehr als eine Frage gutwilliger oder maliziöser PR-Aktionen: Die Umweltkatastrophe, die zuerst mit dem Zusammenstoß einer Fähre mit einem Tanker vor Livorno und dann weiter nördlich bei Genua mit der Explosion und dem Untergang des Ölfrachters „Haven“ nie gekannte Ausmaße anzunehmen drohte, wird angeblich „nur noch durch interessierte Kreise am Leben gehalten“. So behaupten Tourismus-Büros, der Hotelierverband der Küste vor Cinque Terre und der Verband der Strandbarbetreiber in Alassio, hier werde der „saubere Strand“ mutwillig in Zweifel gezogen, um den Touristenstrom in andere Länder zu lenken. Daß die „Profiteure des Desasters“, so die Zeitschrift 'Gastronomia‘, aber vor allem im eigenen Land sitzen, verdrängen die Westküstler vornehm: Tatsächlich kommen fast alle stornierten Buchungen den Adria-Touristengrills zugute, die bis voriges Jahr durch Algenplage und saures Meerwasser am Pleitegehen waren, und die nun von Ravenna über Rimini bis Cattolica mächtig Reklame mit ihrem „ölfreien Strand“ machen.

An eine realitätsbezogene Bilanz, wie stark die Verseuchung tatsächlich ist, denkt offenbar niemand. Oder wenn es eine gibt, wird das Ergebnis so erfolgreich unter Verschluß gehalten, daß selbst die sonst findigen Umweltschützer von World Wildlife Fund, Italia nostra oder Lega per l'ambiente bis heute im Dunkeln tappen, was nun tatsächlich Sache ist.

So weiß offenbar noch immer niemand genau, wieviel Öl wirklich ins Meer geflossen ist — angeblich sind die Tanks der „Haven“ leer, und das Öl der „Agip Azzurro“ vor Livorno ist verbrannt. Doch das würde bedeuten, daß mindestens 110.000 bis 120.000 Tonnen Rohöl ausgelaufen sind — was das Umweltministerium mit der wackeligen Behauptung zu widerlegen versucht, man habe sich bei der Angabe der vor dem Tankerunglück schon gelöschten Ölmenge vertan, es seien mehr Container als vorher angenommen bereits geleert gewesen.

Ebenso unsicher ist, wieviel von dem Teppich durch die drei Dutzend Absaugschiffe weggeklärt worden ist und wieviel noch immer im Mittelmeer herumtreibt.

Die unklare Lage ist nun wieder Wasser auf die Mühlen der PR-Manager in den betroffenen Gebieten: Da niemand Genaues weiß, warnen sie mit Berichten und Bildern vor total verschmutzten Stränden, die aber nicht vor ihrer Küste liegen, sondern weit weg, in Sizilien und in Kalabrien, in Apulien und vor Venedig. Wenn sie schon kein Geschäft machen, so die Philosophie, sollen es die anderen gefälligst auch nicht.

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