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„Nationalität: Sorbisch“

Sie galten als Honeckers „Hätschelkinder“/ Heute muß sich die rund 67.000köpfige nationale Minderheit der SorbInnen in der Ober- und Niederlausitz selbst um eine Lobby in Bonn kümmern  ■ Von Jürgen Sorges

Die „Smolerjec Kntharnja“ Pchalekowa, 22, Budysin, Hornja Lusika, befindet sich nicht etwa jenseits von Oder und Neiße, sondern hinter einer frisch renovierten Ladenfassade in der Kurt Pchalek-Straße, O-8600 Bautzen, Oberlausitz. Zweisprachig sind nicht nur die meisten der circa 500 Titel, die in der Smoler'schen Buchhandlung verkauft werden , zweisprachig sind auch die Reklameschilder der Druckerei auf der gegenüberliegenden Straßenseite, des Sorbischen Cafés um die Ecke oder des Kunsthandwerksladens in der Fußgängerzone Reichenstraße. Sämtliche Wegweiser und Ortsschilder in und um die tausendjährige Festungsstadt Bautzen tragen deutsche und sorbische Namen. Zwar liegt Bautzen im südlichsten Zipfel des Sorbenlandes zwischen Oberem Spreewald und Kamenz, Guben und Cottbus, Premberg und Niesky, Hoyerswerda und Weißwasser. Doch seit den Tagen des Verlegers und Buchhändlers Jan Arnost Smoler (1816-1884), der 1853 in Bautzens „schiefen Turm“ die erste sorbische Buchhandlung gründete, sind die Ortenburg und das Gassengewirr der Altstadt das kulturelle Zentrum dieser „nationalen Minorität“.

Beispiel sozialistischer Integrationspolitik

Wie viele Menschen sich heute noch zu den „Sprach- und Kulturträgern“ des eng mit dem Polnischen und Tschechischen verwandten Sorbischen zählen, läßt sich nicht exakt feststellen. Ruth Thiemann, die Chefin der Smoler'schen Buchhandlung, geht von rund 67.000 aus. Sorbisch wird heute aber meistens nur noch zu Hause und in der Familie gesprochen. Bautzens Teenies bevorzugen die deutsche Sprache, allenfalls mit einigen neumodischen Anglismen gemixt. Denn was ist schon der Sorbisch-Unterricht in einer der sieben sorbischen und 50 gemischtsprachigen Schulen im Vergleich zu den Englischstunden und dem attraktiven Silbenstakkato aus dem Munde eines Idols wie MC Hammer? Der lautstarke Rock der New Kids on the Block hat längst Einzug im Neubauviertel Gesundbrunnen gehalten. Und selbst im Gral der sorbischen Sprache, der Smoler'schen Buchhandlung, spuckt die Registrierkasse Bons mit dem Aufdruck aus: „Your receipt thank you“.

„Unter dem alten Regime brauchten wir uns nicht zu beschweren“, stellt Frau Thiemann klar. Doch den vor der Wende weitverbreiteten neidvollen Vorwurf, die Sorben seien als „Honeckers Lieblinge“ materiell verhätschelt worden, läßt sie so nicht gelten. Alle zugewiesenen Mittel waren vonnöten, um das Institut für Lehrer- und Kindergärtnerinnenausbildung, das Kulturarchiv für sorbische Volksforschung und eine Zentralbibliothek mit 60.000 Bänden zu unterhalten. In jüngster Zeit haben noch das sorbische Museum und das deutsch-sorbische Volkstheater seine Pforten geöffnet. An der Uni Leipzig ist gar ein Lehrstuhl für Sorabistik eingerichtet.

Selbstverständlich wurde dem Vertreter der Domowina („Heimat“), der seit 1912 existierenden politischen Organisation der Sorben, ein fester Platz in der Volkskammer eingeräumt. Auf kommunaler und Bezirksebene waren die Sorben überrepräsentativ vertreten. Von Pieck bis Krenz galt den SED-Oberen die Förderung der „einzigen nationalen Minderheit der DDR“ als Musterbeispiel sozialistischer Integrationspolitik. Neben der deutschen Staatsangehörigkeit war in den DDR-Pässen „Nationalität: Sorbisch“ vermerkt. Hintergrund: die Verfolgung im Dritten Reich, Folge der schon im 19. Jahrhundert begonnenen rigorosen „Germanisierung“ alles Sorbischen, die Sprache und Kleidung, selbst harmlose Feste und lokale Bräuche der seit 1.400 Jahren in der Lausitz lebenden Sorben verfemte. Kostprobe aus einem schriftlichen Memorandum Heinrich Himmlers („Einige Gedanken zur Behandlung der Fremdländischen im Osten“) vom 15.8.1940: „Die Bevölkerung des Generalgouvernements setzt sich dann zwangsläufig nach einer konsequenten Durchführung dieser Maßnahmen im Laufe der nächsten zehn Jahre aus einer verbleibenden minderwertigen Bevölkerung der Ostprovinzen sowie all der Teile des deutschen Reiches, die dieselbe rassische und menschliche Art haben (Teile, zum Beispiel der Sorben und Wenden), zusammen.“ Und: „Diese Bevölkerung wird als führerloses Arbeitsvolk zur Verfügung stehen und Deutschland jährlich Wanderarbeiter und Arbeiter für besondere Arbeitsvorkommen (Straßen, Steinbrüche) stellen; sie wird selbst dabei mehr zu essen und zu leben haben... und bei eigener Kulturlosigkeit unter der strengen, konsequenten und gerechten Leitung des deutschen Volkes berufen sein, an dessen ewigen Kulturtaten und Bauwerken mitzuarbeiten und diese, was die Menge der groben Arbeiten anlangt, vielleicht erst ermöglichen.“ Seit 1937 war die Domowina verboten, zahlreiche sorbische Intellektuelle waren Repressalien ausgesetzt, die Zwangsumsiedlung gen Osten oder, alternativ, nach Elsaß-Lothringen, längst beschlossene Sache. Im neuen Bautzener Haus der Sorben — das alte am Lauengraben wurde in den letzten Kriegstagen von SS-Einheiten gesprengt — residiert die Domowina immer noch, jedoch nicht mehr in ihrer „sozialistischen“ Form. Als überparteilicher Zusammenschluß soll sie einer von den Ländern Brandenburg und Sachsen sowie dem Bund finanzierten Stiftung auf die Beine helfen, die die zukünftige Kulturarbeit der Sorben betreiben soll. Zwar bekennt sich die sächsische Verfassung zur Förderung der Sorben, doch an die Festschreibung politischer Rechte, wie sie etwa die dänische Minderheit in Schleswig-Holstein genießt, wagt man in Bautzen noch nicht zu denken.

Dutzende Dörfer dem Erdboden gleichgemacht

Großes individuelles Engagement ist nötig, um der sorbischen Gemeinschaft einen Platz an Bonns Fleischtöpfen zu sichern. In Brandenburg, wo die Domowina als eigenständige Partei mit grün-ökologisch gefärbtem Programm antrat, scheiterte sie an der Fünf-Prozent-Hürde. Sachsens Sorben waren schlauer: Gleich vier sorbische Abgeordnete (einmal CDU, zweimal SPD, einmal Linke Liste/PDS) sitzen im Dresdner Landtag, während in Bonn Wórsa Dahms als Vertreterin der Sorben bei der Bundesregierung in den Vorzimmern der Ministerien antichambriert. Schießlich stützen sich viele Hoffnungen auf Angela Stachowa, die für die Linke Liste/PDS im Bundestag sitzt und hauptberuflich Schriftstellerin ist. Der Domowina- Verlag, der in den letzten 40 Jahren neben der politischen Tageszeitung 'Serbske Nowiny‘ (Sorbische Neuigkeiten) eine Unmenge sorbischer Literatur auf den Markt brachte, verlegt auch sie. Literarische Aushängeschilder sind indes zwei Herren: Der in Brandenburg als Spitzenkandidat durchgefallene Jurij Koch und der Lyriker Kito Lorenc beschäftigen sich seit Jahren mit einem ökologischen Problem — dem Braunkohleabbau und dem „Energiegürtel“ der Megawattriesen bei Cottbus. Die ökonomisch sinnlose Anlage ist nicht nur höchstgradig umweltgefährdend, sie machte auch dutzende sorbische Dörfer dem Erdboden gleich. Jurij Koch beschreibt in seinem neuen Kinderbuch Das Sanddorf den Kampf einer Jugendbande für den Erhalt dieser Dörfer.

Die riesige Abraumwüste an der sächsischen Landesgrenze wirkt zudem wie ein unüberwindlicher Sperr-Riegel zwischen der Nieder- und Oberlausitz. Das zusammenhängende Gebiet der Sorben droht wegen der fehlenden Verbindungswege in zwei Sprachinseln zu zerbrechen. Die Überfremdung in den durch die Braunkohle gewachsenen Industriestandorten (Hoyerswerda) ließ das Gebiet zur sorbischen „Diaspora“ werden. So kommt den traditionellen Volksfesten, wie etwa dem „Hexenbrennen“ in der Walpurgisnacht, besondere Bedeutung für das sorbische Zusammenleben zu.

In Göda, einem Weiler in den konservativ katholischen Kirchspielen (20 Prozent der Sorben sind katholisch) zwischen Bautzen, Kamenz und Bischofswerda, treten seit 1965 die Mitglieder des sorbischen Theaterensembles zum Prozeß an: Stara Jeba, die alte Hexe, wird in Gestalt einer Strohpuppe für die erlittenen Unbilden des zurückliegenden Jahres zur Rechenschaft gezogen und auf einem riesigen Scheiterhaufen verbrannt. Dieses Jahr wurde Stara Jebain in Glitterfetzen gekleidet, gespickt mit reißerischen Schlagzeilen von 'Bild‘ bis 'Stern‘. Auf dem Richtplatz und vor 2.000 Schaulustigen muß sie sich die Anklagen anhören. Es wird ein politischer Prozeß: Gleich die erste Klägerin rechnet gründlich und in Reimen mit den überall gegenwärtigen, in allen Lebenslagen besserwisserischen Wessis ab, auch mit Beate Uhse, „daß wir lernen, wie man schmuse“; sie prangert auch die Geldgeilheit an. Die Aufmerksamkeit der nächsten RednerInnen gilt der neuen Währung und ihren zinskräftigen Folgen („Freiheit für Strolche“, „Schufte der großen, weiten Welt“), den „blutsaugenden Spinnen im sozialen Netz“, dem kreisenden Pleitegeier über der allseits geschätzten Konsum-Genossenschaft, schließlich der deutschen Einheit — womöglich ein „Stasi- Machwerk“ oder gar „Erichs Rache“ — schlechthin. Fazit des vergangenen Jahres: „Überfluß an leeren Dosen, Pappkartons und Arbeitslosen“. Stara Jeba wird unter frenetischem Applaus ins Feuer geschickt. Doch der feuchte und in diesem Jahr erstmals autoreifen- und spraydosenfreie Holzstoß (lakonischer Kommentar: „Macht zwar weniger Spaß, ist aber wegen der grünen Opposition“) will nicht so recht entflammen. Dicker Qualm steigt auf, allein Stara Jeba brennt nicht.

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