: Hormone und Creutzfeldt-Jakob-Syndrom
Britische Wissenschaftler glauben, daß Wachstumshormone zur Gehirnerkrankung führten ■ Von Ralf Sotscheck
Die Behandlung mit Wachstumshormonen aus menschlichem Hypophysenextrakt hat möglicherweise die tödliche Creutzfeldt-Jakob-Krankheit ausgelöst. Zu diesem Ergebnis kam ein Untersuchungsteam unter Leitung von Professor C. R. Buchanan vom Londoner „Institute of Child Health“. Das Team untersuchte 1.246 männliche und 662 weibliche Testpersonen, die wegen Wachstumsstörungen mit Hormonen behandelt worden waren — die bisher größte Untersuchung dieser Art. Davon sind 110 Personen zwischen 1972 und 1990 gestorben. In den meisten Fällen ist der Tod durch Infektionen und Tumore infolge einer Unterfunktion der Hypophyse verursacht worden. Da dieses Resultat mit dem der Kontrollgruppe, die nicht mit Wachstumshormonen behandelt wurde, übereinstimmt, schlußfolgert Buchanan, daß die Hormonbehandlung nicht zur Entwicklung neuer Tumore beigetragen hat. Anders jedoch bei der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit: Die Studie deutet darauf hin, daß die Krankheit bei den sechs infizierten Patienten der Testgruppe durch die Behandlung mit Hormon-Präparaten ausgelöst wurde.
Gehirn verwandelt sich in eine schwammförmige Masse
Das Creutzfeldt-Jakob-Syndrom ist zwar weltweit verbreitet, tritt jedoch äußerst selten auf: Von einer Million Menschen erkranken nur ein bis zwei Personen daran. Seit Ausbruch der Rinderseuche BSE (Bovine Spongioforme Enzephalopathie), deren Verlauf ähnlich ist, findet die Krankheit erhöhte Aufmerksamkeit.
Das Syndrom wurde 1921 zum ersten Mal von dem Kieler Arzt Hans- Gerhard Creutzfeldt beschrieben. Gajdusek identifizierte die Krankheit 1975 als „Slow-Virusinfektion“ mit einer Inkubationszeit von sechs Monaten bis zu drei Jahren. Wie auch bei der Rinderseuche verwandelt sich das Gehirn bei Personen, die mit dem Creutzfeldt-Jakob-Syndrom infiziert sind, in eine schwammförmige Masse.
Vermutlich wird die Krankheit durch Prionen ausgelöst — winzige Erreger, die weitgehend immun gegen Hitze, ultraviolette Strahlung und chemische Einwirkungen sind. Das heimtückische daran ist, daß sowohl BSE als auch das Creutzfeldt- Jakob-Syndrom erst durch eine Obduktion mit Sicherheit nachgewiesen werden können, da keine Antikörper gebildet werden.
Wachstumsstörungen wurden auch in Großbritannien seit 1959 mit Hormonen behandelt, die aus der menschlichen Hirnanhangdrüse gewonnen werden. Jahrelang war als einzige negative Nebenwirkung die Bildung von Antikörpern gegen die verabreichten Substanzen bekannt, die den Erfolg der Behandlung jedoch nicht beeinträchtigten. 1985 wurden bereits 850 Patienten in Großbritannien und Irland mit diesen Wachstumshormonen behandelt.
Im selben Jahr wurde die Hormonkur zum ersten Mal mit der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit in Verbindung gebracht, nachdem auch in Großbritannien ein Patient an der Krankheit gestorben war. Als die entsprechenden Präparate kurz darauf auch in allen anderen Ländern vom Markt genommen wurden, begann Buchanan seine Studie, um die Langzeitwirkungen der Hormonbehandlung sowie die Sterblichkeitsrate zu untersuchen.
Weltweit sind bisher 16 Fälle des Creutzfeldt-Jakob-Syndroms nach Behandlung mit dem Wachstumshormon bekannt, wobei die Zahlen Großbritanniens mit denen der USA weitgehend übereinstimmen. Darüber hinaus sind in Australien zwei Fälle aufgetreten, nachdem die Patienten mit Gonadotropinen, die aus der Hypophyse extrahiert wurden, behandelt worden sind.
Die sechs infizierten Patienten in Großbritannien gehörten zu einer Gruppe von 400 Personen, denen zwischen 1974 und 1976 Wachstumshormone verabreicht wurden. Da die sechs Patienten mit Hormonen aus unterschiedlichen Quellen behandelt wurden, scheidet eine einmalige Kontaminierung durch den Erreger aus, schließt das Untersuchungsteam. Die Zahl der Opfer des Creutzfeldt-Jakob-Syndroms liegt möglicherweise sogar höher: Nur 40 Prozent der verstorbenen Patienten wurden obduziert. Dadurch habe man Nachweise für die Krankheit vielleicht verpaßt, glaubt Buchanan.
Der britische Mediziner warnt, daß man aufgrund der steigenden Zahl der Krankheitsfälle und der wegen der Ansteckungsgefahr großen Bedeutung für die öffentliche Gesundheit äußerst wachsam sein müsse — „auch wenn die befürchtete Epidemie bisher noch nicht ausgebrochen ist.“ In dem Bericht heißt es: „Für alle Patienten, die mit Wachstumshormonen behandelt worden sind, besteht das geringe, jedoch bisher nicht genau definierte Risiko, die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit zu entwickeln, und praktische Ärzte sowie Neurologen müssen sich dieser Möglichkeit bewußt sein. Pathologen sollten in diesen Fällen Vorsichtsmaßnahmen treffen, und neuropathologische Untersuchungen aller Todesfälle unter diesen Patienten sind in Zukunft notwendig.“
Der älteste noch lebende Patient, der mit diesen Wachstumshormonen behandelt wurde, ist erst 47 Jahre alt.
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