: Dream Warriors und Gang Starr
■ Geschichten aus dem Ghetto und vom Bacardi-Strand
Auf dem Dancefloor und in den Clubs junger Menschen mit dem Stethoskop am Puls der Zeit hat der hier vertretene HipHop erheblich an Popularität verloren. Techno, Raggamuffin und selbst Dancehall-Reggae lassen die Geschichten aus dem Ghetto von der Straße, unter der immer ein guter Groove lauert, wie Schnee von gestern aussehen. Da hat sich die geballte Toughness Brooklyns selbst ein Bein gestellt. James Brown samplen allein genügt nicht.
Gang Starr, selbst aus dem besagten Viertel in New York stammend, haben auch irgendwann die Nase voll gehabt von funky Drummer und Brunftgekreische. Sie haben für sich den Jazz entdeckt. Nicht den flauschig-piekfeinen, mit dem Galliano und andere britische »Artstudents with Attitude« die Zeitgeistgazetten überschwemmen. Gang Starr sind jazzig und böse. Selten reißt ein Saxophon die Stimmung ins allzu gebildet-euphorische oder versucht sich der DJ in der Beschwörung von Melancholie mit Miles Davis-Zitaten, die schwermütig am Herzen des Hörenden zerren könnten.
Gang Starr sind knochentrocken im musikalischen Gefüge, analytisch im Text, scheinbar unbeteiligt an den krudesten Ganggeschichten. Sie schreiben an der Geschichte des Ghettos, dem die Politik von Public Enemy nichts genützt hat. Dabei sind sie genausowenig von der Basis entfernt wie die, die man street nennt.
Noch nach ihren Erfolgen mit »Jazz Thing« in Spike Lee's »Mo' Better Blues« treten sie auf Competitions auf, den wöchentlich in Clubs veranstalteten Wettbewerben, auf denen rappende Amateure zum König für einen Abend gekürt werden. Dort laufen sie zwar außer Konkurrenz, bleiben aber den Freunden von früher damit aus nächster Nähe verbunden. Der Mangel an Solidarität wurde den meisten Rappern bislang zum Verhängnis. Eric B. & Rakim agieren in solcher Weise so weit vom Publikum entfernt wie Sting von seinen Regenwaldindianern. Da Gang Starr also weiterhin Vertrauen genießen, sind sie für die Fortsetzung der Politik mit musikalischen Mitteln unentbehrlich, ebenso wie für Black Entertainment ohne Blaxploitation.
In ähnlicher Weise wollen die Dream Warriors Symbol für die Jamaican-Community in Kanadas heimlicher Hauptstadt Toronto sein. Beide Kämpfer sind noch in der Karibik geboren, King Lou auf Jamaica und Capital Q in Trinidad. Dementsprechend ist die HipHop-Melange der beiden mehr vom Dancehall- und Reggae-Stil geprägt als von dem ewigen Funk-Gescratche der amerikanischen Nachbarbrüder und -schwestern. Und auch hier wieder: Jazz an allen Ecken und Enden. Die Verwendung von Quincy Jones' »Soul Bossa Nova« in »My Definition of a Boombastic Jazz Style« machte sie zu Beginn noch zu liebevoll umhegten Newcomern für die abhandlungswütigen Sexler. Mit dem Erfolg der letzten Single »Ludi« siedeln sich die hochgelobten Traumkämpfer allerdings erstaunlich stilsicher in traumhaften Otto-Katalog-Ambiente an, als hätten Bounty und Bacardi Song und Video gesponsort.
Dafür entschädigen sie mit dem drogenschweren Experimental-Jazz-Gedudel-im- Hintergrund-Rap »Voyage Through The Multiverse« und dem liebevoll-weisen »Do Not Feed the Alligators«, dem ein charmantes Text-Tribut an Jarmush zugrunde liegen könnte. (Zur Erinnerung: die Cousine kommt in »Stranger Than Paradise« gerade vom Einkaufen, während John Lurie sein TV-Dinner zu sich nimmt. Dann folgt der bedeutungsschwangere Satz vom zu würgenden Alligator, womit ganz einfach Staubsaugen gemeint ist)
Dazu bekennen die Dream Warriors ganz unbefangen: »Life's a Bitch«. So ist das Leben eben, selbst für schnauzbärtige Slipperträger mit Hang zum Schmierbauch, einer versteckten Vorliebe für Kontaktanzeigen, einem gesicherten Arbeitsplatz bei der Deutschen Bank und dem jährlich ihnen zustehenden Urlaub mit Karstadt-Reisen in die Karibik. Life's a bitch. Harald Fricke
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