: Täglich sterben drei bis vier Kinder
■ Erstes Ärzteteam zurück aus kurdischen Flüchtlingslagern/ Viele verletzte KurdInnen bereits gestorben
Berlin. Das Angebot der Ärztekammer und des Senats, kurdische Flüchtlinge aus den Lagern an der irakischen Grenze auszufliegen, um sie in Berliner Krankenhäusern zu behandeln, kam offenbar zu spät. Die KurdInnen, die bei irakischen Angriffen verletzt wurden, seien entweder bereits gestorben oder so schwer verletzt, daß sie transportunfähig seien, berichtete Dr. Rolf Büthemeyer, Oberarzt am Urbankrankenhaus. Er war in dem ersten Berliner Ärzteteam mitgereist, das Anfang Mai fünf Tage lang den in der Türkei befindlichen Lagerkomplex Yekmal in der Nähe der irakischen Stadt Zakho besichtigt hatte und nunmehr zurückgekehrt ist.
Büthemeyer hatte sich die Lager 1 und 4a angesehen, in denen sich jeweils 50.000 bis 80.000 Flüchtlinge aufhalten. Nach seinem Bericht fehlen professionell angelegte Latrinen und eine gesicherte Trinkwasserversorgung. Fälle von Cholera hat er zwar nicht vorgefunden, allerdings könnte es mit Anstieg der Temperaturen noch zu einer Cholera-Epidemie kommen. Bislang grassieren überwiegend Durchfall- und Atemwegserkrankungen, die auf die miserablen Hygieneverhältnisse und die stark schwankenden Temperaturen (tagsüber 30 Grad, nachts 0 Grad) zurückzuführen sind. Hauptsächlich leiden Kinder an diesen Krankheiten sowie an Fehl- und Mangelernährung. Täglich sterben drei bis vier von ihnen.
Die Lager 1 und 4a sind sehr unterschiedlich. Lager 4a verfügt laut Büthemeyer über eine hervorragende medizinische Ausrüstung. In Zelten sind Intensivstation, Operations»saal« und Ambulanz untergebracht. Die Ausrüstung entspricht der eines kleinen Krankenhauses in der Bundesrepublik. Problematisch wird es nur bei Regen, da der Lehm- und Grasboden des OPs dann wegrutscht. 80 PatientInnen werden hier zur Zeit stationär und 500 ambulant behandelt. Anwesend sind unter anderen das Deutsche Rote Kreuz, die UNO-Flüchtlingsorganisation UNHCR und die »Medecins sans frontiers«. 80 bis 90 ÄrztInnen und HelferInnen arbeiten rund um die Uhr bis zur völligen Erschöpfung. Nur sehr wenige KurdInnen gehen von hier aus zurück in den Irak, beobachtete Büthemeyer.
In Lager 1 herrschen katastrophale Zustände. Das Lager ist ein einziger Kot- und Müllhaufen. Es gibt nur eine Ambulanz, die von 8 bis 16 Uhr besetzt ist. Hier arbeiten das österreichische Rote Kreuz, der Rote Halbmond und die »Medecins sans frontiers«. Doch das Sagen hat das türkische Militär. Relativ viele Flüchtlinge wandern von hier aus in die »Sicherheitszonen« im Irak ab, allerdings kehrt knapp ein Viertel von ihnen wieder ins Lager zurück.
Die Stimmung in beiden Lagern ist gefaßt. Die KurdInnen haben sich zwar nicht abgefunden mit der desolaten Lage, aber müssen ja doch eine Art »Alltag« führen. Die Frauen sammeln Brennholz in den steilen Berghängen und kochen auf offenem Feuer. Die Kinder holen Wasser, die Männer bauen Latrinen. Erstaunlicherweise sind die Flüchtlinge nach der Beobachtung des Arztes trotz ihrer abgeschlossenen Lage sehr wohl über die laufenden Verhandlungen in Bagdad informiert. Nadja Encke
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