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Quantitatives Mehr an Dudelfunk?

■ Alternativfunker verlieren ihre Welle/ Radio 100 geht an französischen Radiogiganten NRJ

Seit Montag gibt es ihn nicht mehr: Radio 100, den erfolgreichsten, aber finanziell stets gebrechlichen links- alternativen Privatsender der Republik. Der Kabelrat, das Berliner Privatfunk-Kontrollgremium, vergab die Frequenz 103,4 an Radio 2000, hinter dem als Geldgeber der französische Lokalradio-Gigant Nouvelle Radio Jeunesse (NRJ) steckt. Statt wildem Punk schon am frühen Morgen, langen autonomen Wortelegien und gleichgeschlechtlichen Nachrichten wird es nun — glaubt man den neuen RadiomacherInnen — „ein pointiertes, aggressives Wortprogramm“ und ein Musikprogramm „zwischen Rias 2 und DT 64“ geben.

Radio 100 hatte einst im Jahre 1987 als alternatives Feigenblatt beim Start des Privatfunks in Berlin mit wenigen Stunden pro Tag begonnen, kam aber wegen zu geringer Einschaltquoten (etwa ein Prozent) und zu wenig Werbeeinnahmen wirtschaftlich immer mehr ins Schleudern. Der Start des teuren 24-Stunden-Programms gab ihm den Rest. Am Ende einer langen Suche nach Geldgebern (u.a. auch die Berliner Tageszeitung 'Tagesspiegel‘ und Süddeutscher Verlag), einem umstrittenen Konkurs und einem Rennen zweier konkurrierender GmbHs steht nun die Frequenzvergabe an das Konsortium um NRJ. Mit dabei bei NRJ sind auch einige wenige ehemalige MitarbeiterInnen, das Anzeigenblatt 'Zweite Hand‘ und frühere Teilhaber des Radios. Das Nachsehen hatte die Neue Radio 100 GmbH um die Kreuzberger Mediengruppe Schmidt und Partner (ElefantenPress, 'Freitag‘, 'Titanic‘, 'Junge Welt‘). Hier waren mit an Bord: der größte Teil der ehemaligen MacherInnen im Mitarbeiterverein, die Schwulen und Lesben vom vielgerühmten „Eldoradio“ sowie die Redakteure der fremdsprachigen Programme in polnisch, arabisch, türkisch und kurdisch — sowie über 100 Gruppen und Projekte der alternativen Szene aus Ost und West.

Obwohl die LizenzverwalterInnen des Kabelrats in den Vorstellungen der Neue Radio 100 GmbH „inhaltlich das kontinuierliche Programm“ sahen, gaben sie Radio 2000 den Vorzug. Dafür gesprochen habe, so der Kabelrat, „die deutlichere Hinwendung zur journalistischen Professionalität“. Sie böten die größere Chance, „mit einem auch Minderheiten berücksichtigenden Programm breitere Hörerkreise zu erreichen“. Das Konzept der Konkurrenz hingegen sei wirtschaftlich und programmlich „nicht entscheidungsreif und widersprüchlich“ gewesen.

Frei geworden war die Frequenz von Radio 100 im März, als der Geschäftsführer des alten Radios, Thomas Thimme, wegen nicht mehr bezahlbarer Bankschulden Konkurs anmeldete und die MitarbeiterInnen in einer Nacht- und Nebelaktion aussperrte. Ein Konkurs ohne Not, meinen die MitarbeiterInnen bis heute, denn man habe Thimme angeboten, Geld nachzuschießen. Damals begann auch die Konkurrenz der beiden GmbHs, denn der MitarbeiterInnen- Verein und die Lesben und Schwulen von „Eldoradio“ hatten kurz vorher erklärt, nicht mehr mit NRJ zusammengehen zu wollen — obwohl sie monatelang mitverhandelt hatten und der Kabelrat das NRJ-Konzept bereits lizensiert hatte. Die alte Gesellschafterkonstruktion brach auseinander. Der Konkurs Thimmes, so die MitarbeiterInnen, sei der einzige Weg für NRJ und Thimme gewesen, noch eine Lizenz zu bekommen.

Die MitarbeiterInnen sahen im plötzlichen Angebot von Schmidt und Partner eine Chance, mehr von den Inhalten und Strukturen des alten Radios zu retten. Der französische Medienkonzern, der in Frankreich und England mehr als 100 Lokalradios aufgekauft hat und weitestgehend reine Musikprogramme abstrahlt, war ihnen suspekt: „Deren publizistische Legitimation besteht in erster Linie aus viel Geld“, meint der ehemalige Mitarbeiter Werner Voigt, der für die Neue Radio 100 GmbH als Chefredakteur vorgesehen war. Thomas Thimme, Ex-Geschäftsführer des Alternativsenders und nun bei Radio 2000, hingegen findet: „Mit Hunderten von Soli- Gruppen erreicht man keine gesellschaftliche Relevanz.“

Daß das auch der Kabelrat so sah, kritisieren unterdessen die medienpolitischen SprecherInnen der Fraktionen von SPD, PDS und Bündnis 90/Grüne in Berlin. Die Entscheidung bewirke lediglich ein „quantitatives Mehr an Dudelfunk“ und „daß sich beim Privatfunk nun alles um die Mitte, um den Mainstream sammelt“. Tatsächlich tritt mit Radio 2000 ein weiterer musiklastiger Sender gegen die Konkurrenten Rias2, den Ost-Jugendsender DT64, Ulrich Schamonis Schunkelradio 100,6 sowie Radio 4U, die öffentlich-rechtliche Pubertätswelle des SFB, an. Zudem hat der Kabelrat gerade die Privatsender RTL-Radio und Info-Radio ('Tagesspiegel‘, Springer, Schamoni) lizensiert. Ob Radio 2000 in einem so umkämpften Markt wirtschaftlich erfolgreich sein wird, ist damit mehr als fraglich. Hans-Hermann Kotte

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