„Für Sie ist nichts Spannendes dabei“

■ „buten & binnen“ hat mit der Harmonisierung fünf Minuten verloren und lange Weile dazugewonnen

Neugierig und geschäftig wuseln sie durch die Gegend, verstecken sich hier, um dort unerwartet aufzutauchen, schleichen sich an, reißen das Mäulchen auf, lassen die spitzen Zähne sehen — und plötzlich sind sie im Tiefschlaf weggesackt, eins sich am anderen wärmend: die Whiskas-Reklame- Kätzchen, die jeden Abend vor buten & binnen-Beginn in aller Unschuld die Geschichte der Redaktion als Pantomime wiederholen — nur daß sich die Kätzchen nach ihrem Schlaf zu neuen Taten regen, während die buten & binnen-Redaktion anscheindend gar nicht mehr erwachen will und schon seit langem nur noch in mentalem Halbschlaf blubbert. Die Fernsehzuschauer blubbern dösend mit und lernen, im Schlaf gewissermaßen, daß kürzere Sendezeit unendlich viel längere Weile haben kann: Seit buten & binnen der Vorabend-“Harmonisierung“ fünf Minuten opfern mußte, macht sich das Magazin in monoton zerdehnter Teilnahmslosigkeit am Bildschirm breit.

Frech, einfallsreich, respektlos, nicht auf den Mund gefallen — das waren die Anerkennungsformeln für dieses Magazin, das immer schon in der Gefahr war, von journalistischer Lebendigkeit in die bloß freche Attitüde zu verfallen, von unterhaltsamer politischer Berichterstattung in selbstgefällige Witzelei. Inzwischen ist von journalistischer Lebendigkeit, von Unterhaltsamkeit, von einem Ziel in der Berichterstattung so gut wie nichts geblieben: Die alten buten & binnen-Kämpen werkeln wie die Fossilien ihrer selbst herum, und was an Nachwuchs engagiert wird, hat außer faltenloser Flapsigkeit nicht viel zu bieten. In einsamer Verläßlichkeit ragt nur Michael Geyer noch hervor: Wenn er als Moderator im Studio sitzt, weht plötzlich auch ein Hauch von Sinn über den Filmbeiträgen der Kollegen. Keiner in dieser Redaktion hat das Format von Michael Geyer, der nach einem Beitrag über die weinenden ehemaligen Zwangsarbeiterinnen einfach schweigt, nur im Gesicht ausdrückt, daß jedes Wort unmöglich wäre — und nach diesem Sekundenbruchteil ganz selbstverständlich in der Sendung weitermacht. „Ja, nach diesen Bildern fällt es schwer, noch einen intelligenten Kommentar zu finden“, hätte Brigitta Nickelsen wohl gesagt, so, wie sie in der Zeit des Kriegs am Golf nach einem Beitrag in die Kamera schwatzte.

Und nur Michael Geyer hat auch die Würde, das Publikum nicht mit Vertraulichkeiten anzuquatschen. Das nämlich — anbiedernde Vertraulichkeit — steckt meist in Ton und Sprache der anderen Moderatoren, dies penetrante „wir zu euch“, von Rasselbande zu Rasselbande sozusagen: „Jetzt die Nachrichten von Wolfgang und Elvis“, sagt Britta Lübke, und wenn Dirk Hansen oder Uwe Lothar Müller von den Kollegen „Elvis“ gerufen wird, mag das im Redaktionsflur ja sehr komisch sein — als Zuschauer aber will ich nicht wissen, auf welchem Spitznamen-Fuß man dort verkehrt. Für Eike Besuden — und damit auch für uns — ist Wolfgang Lintl „Wolle“. „Die Nachrichten mit Wolle und Dirk“, sagt er, und so sympathisch, aufrecht und journalistisch einfallsreich Eike Besuden auch sein mag — als Moderator verströmt er den Hautgout des altgewordenen Vertrauensschülers, der's gut mit seinen Leutchen meint und für sie denkt: „Hier sind noch'n paar Meldungen, aber für Sie ist nichts unbedingt Spannendes dabei“, sagt er, im Wust der Ticker-Meldungen blätternd. Und hier, in solch fürsorglichem Entgegenkommen, zeigt sich der unangenehme Populismus des Magazins in seiner ganzen Doppeldeutigkeit: Der Moderator hat die Nachrichten im wahrsten Sinn des Wortes in der Hand, gibt aber vor, er würde sie uns in unserem Interesse vorenthalten. So wird das Publikum in einem Atemzug zum Kumpel und Betrogenen gemacht.

Kumpelhaft werden auch andere — ungefragt — vereinnahmt: „Wolle, hast du telefoniert?“, fragte Besuden am Tag, als Harry Warrelmann die Bombe entschärfen mußte. „Gibt's was Neues? Was macht Harry?“ Dieses Negieren jeglicher Distanz — die ja besteht und auch bestehen muß — macht jeden zum Komplizen. Wir sind aber nicht Komplizen einer Sendung, die uns gefälligst informieren soll, anstatt unser Recht auf Information mit Kameraderie zu übertölpeln.

Und wie werden wir von buten & binnen seit Monaten informiert? Nicht immer so schauderhaft wie neulich von Manfred Uhlig über die Wohnungssuche eines an Krücken gehenden Ex-Seemanns: Ein Abschreck-Beispiel in Journalistenschulen dafür, wie man im Fernsehen nicht arbeiten darf. Der Mann wird von Amt zu Amt gehetzt, die Kamera filmt Amtsschilder und Formulare ab, dazwischen das Krückenbein beim Humpeln, von unten aufgenommen, und der Reporter kommentiert den triefig-gestellten Bildern hinterher. „Was sagt Ihr Arzt, wenn Sie hier immer von Amt zu Amt laufen müssen?“ Na, was wird der wohl sagen? „So machen Sie Ihr Bein kaputt.“ Ein „Fallbeispiel“-Report, der in der Öde seiner Machart die Öde des Gegenstands weit übertrifft. Danach muß noch Gewoba-Geschäftsführer Kulenkampff im Studio Rede und Antwort stehen: „Wie ist das Problem schnell zu lösen?“ fragt Eike Besuden gebieterisch - ein Fragestil, der bei buten & binnen typisch geworden ist: die Schein-Attacke, für die es weder Grips noch Mut braucht, nur Selbstgerechtigkeit. „Warum hilft die Türkei den Kurden nicht?“, fragte Britta Lübke tadelnd den türkischen Botschafter im Studio. Ein Rüffel, erteilt im Vollgefühl moralischer Überlegenheit — das ist Journalismus wie aus dem Warenhaus.

„Warum“-Fragen, bei buten & binnen sehr beliebt (“Warum ist das Kunst?“, wird gern gefragt), haben den Vorteil, daß man sein Desinteresse hinter inquisitorisch-kritischer Pose verbergen kann. So erfährt man aber von Studiogästen nichts, so nimmt man keinen in die Mangel — so spiegelt man nur den Zuschauern vor, man könne die Interviewten zum verlegenen Stottern bringen.

Sonst liebt man bei buten & binnen nach wie vor den grundlos spöttischen Unterton. Was aber früher mal ein gut geöltes Markenzeichen war — Carola Krause beherrscht das noch immer unterhaltsam-souverän und hält mit resoluter Treue an damals-ja-damals einstudierten Spott-Orgel- Tönen fest —, das ist inzwischen zum groben Klotz geworden, mit dem die Nachricht erschlagen wird. Besonders spöttisch soll's immer sein, wenn die Kultur das Thema ist. Da läßt man meistens Frauen ran, zum Beispiel Martina Theis, die vermutlich süffisant sein will und doch nur betulich in Janoschs Kinderstunden-Ton erzählt — wie in ihrem Beitrag über die renovierte Orgel in Pilsum, was uns wie ein possierlicher Ostfriesenstreich geschildert wird. Und vor der Eröffnung der Ausstellung „Roß und Reiter“ geht Brigitta Nickelsen mit einem Rittmeister ins Museum, der uns erklären muß, daß die Skulpturen nicht „realistisch“ sind.

Kunst und Kultur ist bei buten & binnen immer gut für jenen kleinkarierten Spott, der im „gesunden Menschenverstand“ seine Schranken hat. Und wenn Ulla Hamann zum Thema „Bücherfrühling“ durch Bremen zieht, um die Passanten zu fragen: „Welches Buch haben Sie zuletzt gelesen?“, dann steckt auch darin die Doppeldeutigkeit des buten & binnen-Populismus: Man geht auf Menschen zu — in der Absicht, sie bloßzustellen.

Aber Kulturberichterstattung ist ja nur der kleinste Teil in jenem langen Jammer, der aus buten & binnen geworden ist. Seit Monaten scheint dort akute Themennot zu herrschen — und journalistische Orientierungslosigkeit. Wenn man mal ein Thema am Wickel hat, wie die Gebißversicherung von Polizisten, den Prozeßbeginn Sakhuth gegen Borttscheller, die Ausgabe des neuen Zehnmarkscheins, die Eingemeindung des Örtchens Holtum Marsch oder die Installierung eines Justitia-Glasfensters im Gerichtsgebäude — dann wird das so lang und breit getreten, daß man die berüchtigte „Einsdreißig“- Länge als segensreichen Zwang zur Konzentration aufs Wesentliche herbeiwünscht.

Selbst ein so wunderbares Thema wie das von den „Straßenbahnbenutzungsberatern“ wird von Maja Lobinski so eifrig vollgetextet, als müsse den Zuschauern die Realsatire didaktisch hieb- und stichfest vermittelt werden. Und wenn Eike Besuden in humoristischer Absicht nicht nur in Hape Kerkelings Generalprobe für „Total normal“ hineinplatzt, sondern sich auch noch imitierend an Kerkelings Witz versucht — dann möchte man vor Scham die Augen schließen und buten & binnen dringend wünschen, sich auf professionelle Selbstachtung zu besinnen.

Klaus Schloesser gelingt das hin und wieder, und Thomas Walde auch, der neulich Ulrich Nölle auf seiner ersten Wahlkampfveranstaltung begleitet und sich auf dessen Hände konzentriert hat: wie sie zu Anfang Nervosität verraten und dann, im sicheren Fahrwasser der Prozentberechnungen des künftigen Etats, zunehmend zitterfrei die Luft durchschneiden. Klaus Schloesser hat sich die Äußerung des SPD —Wahlsiegers Scharping aus Rheinland-Pfalz genommen (“Nach 44 Jahren ist ein Wechsel fällig“) und die, ganz kommentarlos, einigen Bremer SPDlern vorgelegt, die dann auch prompt ins Stolpern kommen, von „undifferenzierter Äußerung“ und „für wie dumm halten Sie die Wähler eigentlich?“ faseln. Doch auch Klaus Schloesser gibt sich Mühe, dem Spott-Affen von buten & binnen Zucker zu verpassen: Mit seinem Beitrag über den geplatzten SPD-Parteitag fraß er sich an der Pralinen-essenden Ilse Janz so hämisch voll, als wolle er ein Gesellenstückchen für „Infotainment“ in seiner leersten Form abliefern.

Es kann nicht nur am Weggang von Christian Berg, am Rückzug von Chefredakteur Michael Geyer liegen, daß buten & binnen derartig ins Schwimmen geraten ist. Sogar Wolfgang Lintl, getreuer Nachrichtenfels, der sich noch frisch wie am ersten Tag bei jedem dritten Satz verspricht und seine Stattlichkeit mit Großmuster-Pullovern geschickt betont, darf neuerdings kleine Studiogespräche führen, zum Beispiel mit einem Staatsrat vom Bauressort, der von der „Abarbeitung der Wohneinheiten“ spricht. Lintl nickt wissend und fragt: „Wie sieht's denn überhaupt mit Baugrund aus?“ Wenn man dem Staatsrat glauben darf, war 1990 „ein Rekordjahr für LBS“, so daß „ein erheblicher Sockel erheblich hochgefahren“ werden kann. Gut, daß wenigstens Lintl zu verstehen scheint — auf uns, die wir bei diesem Interview das Ohrenkräuseln kriegen, kommt es ja gar nicht an, denn buten & binnen fragt sich schon lang nicht mehr, für wen so viel Lustlosigkeit so lustlos produziert wird.

Warum zeigt man uns so sensationsgierig die Bahre mit dem halbverkohlten Körper eines in Huchting fast verbrannten Mannes, und läßt dann noch einen Feuerwehrmann den „Hergang“ schildern? Warum schickt man Uwe Lothar Müller in die Ausstellung von israelischen und palästinensischen Malern, damit er dort in gutgelaunter Borniertheit die Leute nötigt: „Entscheiden Sie mal, ob das Bild von einem Israeli oder einem Palästinenser ist“? Warum weidet sich Jutta Günther an alten Zeitungsausschnitten und „Tatort“-Fotos, um einen Kurzbericht im Stil von „Quick“ über den „geständigen“ Frauenmörder zu machen? Vielleicht drückt ja der Abschiedsdialog von Eike Besuden und „Wolle“ den Zustand der Sendung angemessen aus: „Gibt's noch was Neues?“ — „Nee.“ — „Na, alles klar!“ Sybille Simon-Zülch