Wissen über AIDS meist oberflächlich

■ AIDS-Beratungsstelle im Hauptgesundheitsamt zieht Bilanz / Zahl der Infizierten verdoppelt sich alle 6 Monate

Dem jungen Mann hat das Arbeitsamt eine Umschulung angeboten. Froh erzählt der Arbeitslose es dem Aids-Berater im Hauptgesundheitsamt. Das Angebot überschneidet sich jedoch mit einer Kur, die sein Arzt für ihn organisieren konnte. „Muß ich dem Arbeitsamt sagen, daß ich infiziert bin und die Kur dringend brauche?“, will er wissen.

Eine Frau bittet um Hilfe bei der häuslichen Pflege ihres aidskranken Freundes. In Kürze soll er aus der Klinik entlassen werden. Im Gespräch wird deutlich, daß die Frau, die ebenfalls infiziert ist, durch die fortschreitende Krankheit des Freundes überfordert ist, sich alleingelassen fühlt. Außer einer Freundin wußte bislang niemand von der HIV-Infektion des Paares.

„Können sie mir helfen, meinen Chef über meine Krankheit aufzuklären?“, fragt ein Mann, dessen Leistungsfähigkeit in der letzten Zeit rapide abgenommen hat. Der Leiter seines Betriebes hatte nach dem Grund wiederholter Fehlzeiten gefragt. Allein sieht sich der Betroffene jedoch nicht in der Lage, mit den Vorurteilen und Ängsten in seinem Betrieb umzugehen. Er bittet um Unterstützung von Seiten der AIDS-Beratung. Ein gemeinsames Gespräch, später auch mit allen Mitarbeitern, wäre ihm am liebsten.

Drei Beispiele aus der tagtäglichen Praxis der AIDS-Beratung im Hauptgesundheitsamt. Insgesamt waren es 837 Gespräche im letzten Jahr. 718 Mal wurde ein Test durchgeführt und 64 HIV-Infizierte/AIDS-Kranke betreut. „Zu uns kommen in der Regel Leute zwischen 20 und 45 Jahren“, erzählt Hubertus Scharzkopf, Leiter der Beratungsstelle. „Nur ganz selten sind Jugendliche um 16, ältere Menschen oder Kleinkinder dabei.“ Hilfe suchen sowohl Szene-Leute, Selbständige, Leute mit Schlips und Kragen oder aus dem gewerblichen Bereich. „Genau weiß ich natürlich nie, wen ich vor mir habe, weil bei uns ja alles strikt anonym läuft“, erklärt Schwarzkopf.

Medikamente können nur lindernFoto:SHe

Schwarzkopf hält das Angebot des Gesundheitsamtes, das mit der AIDS-Hilfe für Drogenabhängige und dem Rat und Tat- Zentrum für Homosexuelle eng zusammenarbeitet, nach wie vor für unabdingbar. Denn inzwischen verdoppelt sich die Anzahl der an AIDS Erkrankten alle sechs Monate. „Allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres wurden in Bremen 20 Neuerkrankungen registriert“, sagt er. Zwar sei der Ansturm auf die Beratungsstellen heute nicht mehr so groß wie 1985 bis 1987, als AIDS das Medienthema war. Trotzdem gäbe es noch genügend Fragen und Unklarheiten. Vor allem müßten jetzt diejenigen sozial betreut werden, die damals, Mitte der 80er, ein positives Testergebnis hatten und inzwischen er—

krankt sind.

„Das Wissen über AIDS hat sich in der Gesamtbevölkerung zwar vergrößert, aber meist ist das Verstehen recht oberflächlich“, beschreibt Schwarzkopf seine Erfahrung. Vielen, die in die Beratung kämen, sei zum Beispiel nicht klar, daß hier kein AIDS-Test sondern ein Antikörpertest durchgeführt wird. Immer wieder müßte man erklären, daß erst drei Monate danach ein zuverlässiges Ergebnis möglich ist.

Was sich geändert hat? Anders als in der Anfangsphase, sind heute Behandelbarkeit und Ausbruch der Krankheit die zentralen Themen. „Viele haben mal irgendetwas über irgendwelche Medikamente und Gegenmittel gehört und wollen Beratung. Doch da muß ich vor zu großer Euphorie warnen“. Leider sei nach wie vor gültig, daß mit Medikamenten der Krankheitsverlauf nur gemildert werden kann: „Heilungsmöglichkeiten gibt es noch immer nicht.“

Die Randgruppen liegen dem Berater besonders am Herzen. „Man muß heute mehr an die Gruppen herantreten, bei denen die Nähe zum Virus besonders groß ist, zum Beispiel an die Stricher“, schlägt Schwarzkopf vor. Da gäbe es bisher keinerlei Angebote, weder Übernachtungsmöglichkeiten noch Betreuung.

Doch solche Zukunftspläne kann die AIDS-Beratungsstelle vorläufig in den Wind schreiben. Zunächst muß sie um ihre eigene Existenz bangen. Denn ab Ende 1991 werden die Bundesmittel, über die ihre Arbeit hauptsächlich finanziert wurde, auf null heruntergekürzt. Für insgesamt 20 Beschäftigte steht die Existenz auf dem Spiel. „Diese neue Situation hat hier im Amt für reichlich Unruhe und Konkurrenzkampf gesorgt“, sagt Schwarzkopf. „Dazu kommt, daß es die Behörde versäumt hat, rechtzeitig Lösungsvorschläge vorzubereiten, obwohl die Entwicklung abzusehen war.“ Birgit Ziegenhagen