: Ungewisse Zukunft für albanische Flüchtlinge
Die Unsicherheit über die Zukunft der albanischen Flüchtlinge in Italien schafft in den Übergangscamps eine explosive Stimmung/ Aus Rom kommen nur leere Versprechungen/ Einwanderungsministerin Boniver ratlos ■ Aus Metapont Werner Raith
„Du mußt unbedingt morgen wiederkommen“, ruft Milan und holt noch ein ganzes Dutzend Kameraden heran, „und für jeden von uns ein Foto machen. Wir wollen es unseren Müttern schicken. Schnell, schieß noch eines, bevor die Bullen kommen.“
Eile ist tatsächlich geboten: Zwei Carabinieri nahen bereits mit unverhohlen feindseliger Miene: „Fotografieren verboten“, brüllt einer schon von weitem, „Sie müssen den Film herausgeben.“ Warum, weiß er nicht so genau, aber „jedenfalls ist es verboten“.
Die Nervosität ist in gewisser Weise verständlich: Am Vortag gab es im Camp hier bei Metapont in der unteritalienischen Regiona Basilicata eine böse Schlägerei mit sieben Verletzten, soeben kam über Radio Nachricht von einer weiteren blutigen Auseinandersetzung zwischen Albanern in einem Camp nahe Brindisi. Dennoch läßt sich die Filmbeschlagnahme noch abwenden: Das „Lasciapassare“, die Arbeitserlaubnis des Außenministeriums, beruhigt die Carabinieri zwar nicht, läßt sie aber von ihrer Forderung etwas abrücken. „Die fühlen sich hier umso stärker, je öfter Presseleute herkommen“, erklärt der Feldwebel etwas verlegen, „und wenn Sie denen versprechen, morgen wiederzukommen, stehen die zu Hunderten schon am frühen Morgen hier am Tor, verstärkt durch Kumpane aus dem Umfeld der hiesigen Kriminalität.“
Einheimische Bösewichte, so eine Verlautbarung der örtlichen Polizei, haben viel Interesse, die in den Militärzelten kasernierten Flüchtlinge so bald wie möglich in die Finger zu kriegen. Denn unerfahren wie sie sind und noch dazu ohne Arbeitserlaubnis, kann man sie zu allen möglichen illegalen Aufträgen anwerben: vom Obstpflücken zu Billigstlöhnen bis zum Einbruch oder zur Schutzgelderpressung. „Die Immigranten aus anderen Ländern“, erklärt der regionale Carabinieri-Kommandant, „sind mittlerweile schon etwas gewitzter, haben sich selbst zu Gemeinschaften zusammengeschlossen und dreschen kräftig zurück, wenn ihnen ein italienischer Gangster zu nahe tritt. Wer von denen ins Submilieu abgedriftet ist, arbeitet in Organisationen, die genauso effektive Strukturen aufweisen wie Camorrabanden.“ Kriege mit einheimischen Banden südlich und nördlich von Neapel belegen das deutlich.
Dennoch möchten es die meisten hier im Übergangslager lieber mit legalen Arbeiten versuchen: „Nicht mehr als drei bis fünf Prozent lassen sich für Kriminelles einspannen“, sagt Machail, der für einen Teil der knapp fünfhundert Männer hier spricht. „Das Problem ist, daß mit dem großen Exodus fast nur junge Männer herübergekommen sind, die älteren und die Frauen sind zum großen Teil wieder zurückgefahren. Die Burschen hier, allesamt nicht über dreißig Jahre alt, sind voller Tatendrang — und nun sind die einzigen Aktionsmöglichkeiten weite Spaziergänge am Strand oder ein Fußballspiel hinter dem Campingplatz.“
Eine Art Klaustrophobie also, aber nicht nur: „Da sind offenbar regelrecht Clans herübergeschippert“, sagt ein Polizist, „die halten untereinander zusammen wie Pech und Schwefel und bringen teilweise schon uralte Feindschaften mit.“ Einige Hinweise gibt es auch, daß albanische Geheimdienstler als Agents provocateur auftreten, „doch die sind eher eine geringe Sorge: Die benennen uns die Leute hier diskret, und die fliegen dann sofort raus und werden ausgewiesen. Da wird nicht mal protestiert. Das Problem sind die Schlägereien, die sich ganz spontan in irgendeiner Ecke des Camps oder hinter dem Fußballplatz entzünden: Da müßte man eine Hundertschaft Carabinieri stationieren, wenn man absolute Ruhe will.“ Statt dessen halten meist nur eine Handvoll Ordnungshüter Wache, und die sind daher auch entsprechend schreckhaft und ärgerlich über jede Störung von außen.
Mitte der Woche hat die Chefin des neu eingerichteten Immigrationsministeriums, Margarita Boniver, eine Serie von Besuchen in Flüchtlingscamps begonnen und dabei, wie voraussehbar, kräftige Versprechungen für die gut dreißigtausend Albanien-Auswanderer gemacht: Arbeit soll es bald geben, provisorische Aufenthaltserlaubnis, Familien sollen zusammengeführt werden. „Aber das haben die uns doch schon vor zwei Monaten mit genau denselben Worten versprochen“, beklagt sich Machail, „damals war es der Innenminister und der für den Zivilschutz. Später kam der Minister für Südfragen zu uns, auch er mit denselben leeren Sprüchen. Und jedesmal wird die Wut größer.“ Auch eine Delegation aus Brüssel war schon da, „entsetzte sich gebührend und ward nicht mehr gesehen. Nicht einmal die Fotos, die sie uns versprochen haben, sind angekommen.“
Das, immerhin, erweicht mittlerweile auch das Herz des Carabiniere: „Wenn Sie mir versprechen, daß Sie sich zuerst bei mir melden und ich die Bilder verteile, so daß es keine Schlägerei gibt, können Sie sie bringen.“ Eine Entspannung wird das auch nicht geben. „Aber es ist schon wichtig für uns, daß wenigstens ab und an jemand kommt und uns zeigt, daß wir nicht ganz vergessen sind.“
Vergessen sind sie bestimmt nicht: Nächste Woche nämlich wird einer kommen, der ganz bestimmt Bewegung in die Sache bringt. Der Campingplatzbesitzer hat angekündigt, daß er den Staat zwingen wird, den im Februar geschlossenen Vertrag zu erfüllen: Danach müsen die Plätze zum 15. Mai, dem Saisonbeginn am Lido von Metapont, geräumt und gesäubert sein.
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