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Kinkel will SED-Opfer entschädigen

■ Justizminister kündigt Gesetzentwurf an/ Noch keine konkreten Summen genannt/ Letztes Wort hat Finanzminister Waigel/ SPD und Bündnis 90: „Nur eine moralische Verbeugung vor den Opfern“

Berlin (taz) — Bundesjustizminister Klaus Kinkel (FDP) will noch vor der parlamentarischen Sommerpause dem Bundestag einen Gesetzentwurf zur Rehabilitierung der Opfer des SED-Regimes in der Ex-DDR vorlegen. Kinkel warnte gestern in Bonn zugleich aber vor „unerfüllbaren Forderungen“. Schließlich müßten die „finanziellen Auswirkungen der Rehabilitierung bedacht“ werden. Summen wollte der FDP-Mann, dessen Vorstoß mit anderen Ministerien nicht abgesprochen war, nicht nennen. Kinkel appellierte gleichzeitig an die Opfer, „etwas Geduld“ aufzubringen. 40 Jahre „Unrechts diesen Ausmaßes“ ließen sich beim besten Willen nicht in wenigen Monaten aufarbeiten. Vorrangig nannte er daher die Regelung der Fälle, in denen ein „erheblicher Eingriff“ in die Persönlichkeitsrechte stattgefunden habe oder der Betroffene sehr alt sei.

Im einzelnen plant Kinkels Ministerium folgende Maßnahmen:

—Zusätzliche Richter aus dem Westen sollen zur Bearbeitung der erwarteten rund 100.000 Anträge eingesetzt werden. Kinkel will auch westdeutsche Anwälte bitten, je zehn Fälle kostenlos aufzuarbeiten.

—Für die Opfer der politischen Strafjustiz soll eine eigene Entschädigungsregelung geschaffen werden, da die Sätze nach dem Häftlingshilfegesetz (80 Mark pro Monat) viel zu niedrig seien. Als Eckwert nannte Kinkel die Wiedergutmachung für Nazi-Opfer. Dies würde auch bedeuten, daß die Beweispflicht beim jeweiligen Antragsteller bleibt.

—Die bisher getrennten Rehabilitierungs- und Kassationsverfahren sollen in einem „einheitlichen Rechtsinstitut der erweiterten Rehabilitierung“ zusammengefaßt werden.

—Im Bereich des „Verwaltungsunrechts“ sollen vorrangig die etwa 50.000 Menschen entschädigt werden, die aus den Sicherheitszonen der früheren DDR-Grenze zwangsausgesiedelt wurden.

—Bessere Entschädigungsregelungen strebt Kinkel auch für die an, die aus politischen Gründen in die Psychiatrie eingewiesen wurden. Hier sollte möglichst eine Rente ausgezahlt werden.

Unter die Rehabilitierungsregelung sollen auch die Opfer vom Schußwaffengebrauch an der innerdeutschen Grenze fallen, sowie die Personen, die ohne gerichtliche Kontrolle inhaftiert wurden.

Den Bereich der „beruflichen Rehabilitierung“ bezeichnete Kinkel als besonders schwierig. Für Menschen, die wegen Kritik am DDR- Staat oder Fluchtversuchen in ihrer Ausbildung oder beruflichen Laufbahn behindert wurden, gebe es bis jetzt keine rechtliche Regelungen, ja nicht einmal Überblick über die Anzahl der Betroffenen habe man.

Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Herta Däubler-Gmelin und die innenpolitische Sprecherin von Bündnis 90/Grüne, Ingrid Köppe, waren von diesen Ideen nicht begeistert. Enttäuschend sei, daß der Minister keine konkreten Zahlen für die Höhe der Entschädigung genannt und seine Vorstellungen noch nicht einmal mit dem Bundesfinanzminister Waigel abgesprochen habe. Klar ist: Bei der Höhe der Entschädigungszahlungen wird der CSU- Mann Waigel das entscheidende Wort mitzureden haben. Die beiden Politikerinnen warfen Kinkel auch vor, er verzögere sofort umsetzbare Verbesserungen, etwa bei der Haftentschädigung, indem er sie mit komplizierten Gesetzesänderungen verknüpfe. Köppes Kommentar zu Kinkels Plänen: „Nicht viel mehr als eine moralische Verbeugung vor den Opfern“. Wolfgang Gast

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