Ein armenisches Dorf ergibt sich der Armee

■ Die sowjetische Armee entwaffnet die Armenier im armenisch-aserbaidschanischen Grenzgebiet

Arzwaschen (ap) — Die Bewohner des in der Sowjetrepublik Aserbaidschan gelegenen armenischen Bergdorfs Arzwaschen hatten keine große Wahl: Angesichts von rund einem Dutzend Panzern der sowjetischen Armee gaben sie ihre Waffen ab — elf Maschinen- und 27 Jagdgewehre sowie einige Granaten. „Sie sagten, sie würden das Dorf zerstören, und ich denke, sie hätten es auch getan“, sagt der Polizist des Dorfes, Agwan Jeremina.

Das Dorf entging damit dem Schicksal von rund einem halben Dutzend weiterer Gemeinden entlang der armenisch-aserbaidschanischen Grenze, die in den vergangenen zehn Tagen von der sowjetischen Armee eingenommen wurden. Dem armenischen Innenministerium zufolge wurden dabei 48 Armenier getötet und 91 gefangengenommen.

Die 3.000 BewohnerInnen von Arzwaschen fanden sich, als sie am Mittwoch erwachten, von den sowjetischen Panzern und Schützenpanzern umstellt, die auf den umliegenden Hügeln Position bezogen hatten. Über ihren Köpfen donnerten Hubschrauber, und ein Armeeoffizier forderte sie über Lautsprecher ultimativ auf, alle Waffen abzugeben.

Als die Bewohner ein bis 10Uhr gesetztes erstes Ultimatum verstreichen ließen, feuerten die Panzer einige Warnschüsse in die Luft. „Es war furchtbar. Alle Kinder begannen zu schreien“, erinnert sich Traktorfahrer Demirtschian. Der stellvertretende Kommandeur der Truppen, Oberstleutnant Sergej Kurmatschow, versichert dagegen, es habe sich lediglich um einige Übungsschüsse gehandelt. „Sie versuchten, uns Angst einzujagen, und sie hatten Erfolg damit“, sagte der Elektriker Asat Kirakosian. Nachdem sich die Armee am Donnerstag überzeugt hatte, daß das Dorf tatsächlich alle Waffen abgeliefert hatte, zogen sich die meisten Panzer wieder zurück. Journalisten konnten den Ort dann am Nachmittag besuchen.

Nach Angaben der sowjetischen Behörden versucht die Armee, teilweise unterstützt von Einheiten der aserbaidschanischen Bereitschaftspolizei und des Moskauer Innenministeriums, weiteres Blutvergießen zwischen den Völkern zu verhindern, indem sie die armenische Polizei und die bewaffneten Freiwilligenverbände der Armenier in diesem Grenzgebiet in Aserbaidschan entwaffnet. Beide Volksgruppen bekämpfen sich seit mehr als drei Jahren entlang der rund 965 Kilometer langen gemeinsamen Grenze. Arzwaschen liegt nördlich von Berg-Karabach, einer armenischen Enklave in Aserbaidschan. Die Kämpfe um die Kontrolle über dieses Gebiet forderten inzwischen mehrere hundert Tote.

Verglichen damit, ist es in Arzwaschen relativ ruhig. Mit ihren aserbaidschanischen Nachbarn haben die Bewohner nach eigenen Worten nur wenig Kontakt. „Wir geben ihnen ihre streunende Kuh wieder. Sie geben uns unsere wieder. Das ist alles“, sagt der 23jährige Sergej Arakelian. Ein ungutes Gefühl bleibt nach der Entwaffnung aber bei den Bewohnern von Arzwaschen. Sie fühlen sich möglichen Angriffen von radikalen Aserbaidschanern schutzlos ausgeliefert. Die in der Nähe stationierten sowjetischen Truppen können da nur wenig beruhigen. Alan Cooperman