: Schluß mit lustig
■ Scherzkeks Yannick Noah flog aus dem Hamburger Rennen und Michael Stich erlag einem Fußfehler
Dem Schweden ging jede humoristische Ader ab: Magnus Gustafsson, so blond wie doppelhändig rückschlagend, brachte am Freitag das Publikum am Hamburger Rothenbaum um seinen größten Scherzkeks. Er verhinderte mit einem 6:1-6:4-Viertelfinalsieg über den Franzosen Yannick Noah weitere Attacken wider den sportlichen Ernst, servierte den Mann ab, der drei Runden lang Publikum und sich selbst bestens zu unterhalten wußte und dabei seinen Gegnern schwer auf die Nerven ging. So sehr jedenfalls, daß gestandene Spieler wie Richard Fromberg (6:7, 0:6), Magnus Larsson (4:6, 6:1, 3:6) und Lendl-Bezwinger Renzo Furlan (5:7, 4:6) keine Mittel fanden, den rastagelockten Ex- Weltklassemann auszuschalten.
Die Masche: Immer dann, wenn Noahs Gegner Anstalten zu ernsthaftem Treiben — Aufschlag, Return, Passierbälle, Stops und so weiter — machten, schnitt Noah Grimassen, torkelte unversehens über den Platz, warf Kußhände ins Publikum, streute hie und da brillante Schläge ein — Motto: „Ich kann's immer noch ziemlich gut“ —, spielte plötzlich mit mehreren Schlägern und mehr als einem Ball. Das Volk applaudierte dankbar, lachte laut und lauter. Ist Noah also ein Neger zum Liebhaben?
Womöglich. Oder hätte jemand gelacht, wenn, sagen wir, Stefan Edberg plötzlich den Schiedsrichterthron erklommen hätte, Fez und gute Laune verbreitend, statt „Time“ oder „laaffiftien“ zu grummeln? Eben, Noah war schon immer der Fall fürs Besondere. 1983 gewann er mit kühnsten Schlägen und verwirrenden Spielideen sowohl die French Open als auch das Hamburger Turnier, betörte dabei Volk und Vaterland mit seinem Stil. Heute kann er seine Clownsrolle unbehelligt ausleben, schließlich hat es längst nicht mehr nötig, unbedingt gewinnen zu müssen. „Geld genug hab' ich“, gibt er unumwunden zu. Er drängt sich nicht auf, sagte erst in allerletzter Minute zu, beim Rothenbaumturnier die für Boris Becker reservierte Wildcard anzunehmen. Seine ersten Gegner jedenfalls reagierten entweder hilflos oder, wie der Schwede Magnus Larsson, virtuos: Der nämlich machte nach einigen Schreckminuten plötzlich mit, scherzte gleichfalls — und verlor dabei seine spielerische Linie völlig. Da war zu merken: Wenn beide scherzen, ist Noah, der Mann mit den „schlechtesten Grundschlägen unter den Profispielern“ (Boris B.), immer noch der allerbeste unter den Guten.
Viertelfinalgegner Magnus Gustafsson hatte kein Erbarmen. Kühl und präzise schlug er die Bälle meist da hin, wo Noah gerade nicht feixte. Noah verging darob das Spaßen sehr, er resümierte am Ende, warum er denn verloren habe, sehr ehrlich: „Ich habe versucht, zuviel Tennis zu spielen.“ Und eigentlich sei er überhaupt nur nach Hamburg gekommen, um seine neue Passion vorzustellen, die Musik: „Ich liebe Rasta, Jamaica...“ Einen Film will er demnächst auch drehen, „aber es ist noch offen, welche Rolle ich spielen werde“.
Immerhin: 18.225 Dollar bekam Noah am Ende seines Auftritts, die Gage für insgesamt fünf Stunden Entertainment, das nicht allen Tennisgourmets behagte. „Show ist Show, Tennis ist Tennis“, sagte ein Mitarbeiter des DTB, „alles hat seine eigene Bühne.“ Die an den Spaßvogel gerichtete Schlußfrage, wer denn das Turnier gewinnen würde, beantwortete Noah dem Ort des Geschehens angemessen: „Ich bin in Deutschland, ich glaube also, daß Stich gewinnt.“
Der jedoch versagte indes im Halbfinale just da, wo Boris Becker erst anfangen würde zu brillieren. Nachdem Stich, nicht eben Liebling der Tennisfunktionäre vom DTB, im Viertelfinale Stefan Edberg mit furiosen Schlägen, geduldigem Spiel und einer guten Portion Genialität aus dem Rennen werfen konnte, glaubte man, er könne nun auch Karel Novacek aus der CSFR im Halbfinale schlagen und später auch das Finale gewinnen...
Ganz falsch: Beim Stande von 5:3 im dritten Satz bei Aufschlag Stichs schrie plötzlich ein Linienrichter „Footfault“, monierte damit regelgerecht, daß der Deutsche vor der Ballberührung mit dem Fuß Grundlinie betreten hatte. Damit war Stich aus seiner „mentalen Ruhe“ gebracht, die er gerade zu dem Zeitpunkt gefunden haben wollte. Fortan vollbrachte er einen Fehler nach dem anderen — Tiebreak: und den gewann Novacek mit 7:5.
Doch Tennisgourmets hatten jedenfalls kaum etwas auszusetzen am Benehmen des am Rande Hamburgs aufgewachsenen Mannes: so elegant, so selbstbewußt waren Jelen, Steeb, Kühnen & Co. nie. Als „blöde Entscheidung“ beurteilte Stich die Fußfehlerentscheidung. Doch daß er Noahs Humor noch nicht hat, wundert kaum. Er kann sich noch längst nicht aufs Altenteil zurückziehen. Noahs Finanzpolster beträgt gut drei Millionen Dollar, das von Stich nicht einmal ein einziges Milliönchen. Und mit dieser Differenz ist nun wirklich nicht zu spaßen. Jan Feddersen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen