: Prag sucht Waffe gegen Waffenhandel
■ Mit Moral allein läßt sich die Waffenproduktion nicht bekämpfen
Prag sucht Waffe gegen Waffenhandel Mit Moral allein läßt sich die Waffenproduktion nicht bekämpfen
Im Honeymoon der sanften Revolution, Januar 1990, gab der tschechoslowakische Außenminister Dienstbier bekannt, sein Land würde sich aus dem internationalen Waffenhandel zurückziehen und zwar ohne Rücksicht darauf, „was die Pragmatiker dazu sagen und ob die Staatseinnahmen deswegen beeinträchtigt werden“. Dienstbiers Erklärung entsprang damals nicht nur edler Einfalt, sondern auch handfester ökonomischer Einsicht: die Waffentechnik in der CSFR war ebenso im Rückstand wie die Waffenkäufer der Dritten Welt mit ihren Zahlungen ans tschechoslowakische Staatshandelsmonopol Omnipol.
Nur: Wer sollte die Konversion der Waffenfabriken finanzieren, die — hauptsächlich in der Slowakei gelegen — mit Zulieferern immerhin 200.000 Menschen Arbeit geben? Das ganze Konversionsprojekt hat sich im Dickicht der Nationalitätenauseinandersetzungen verfangen, seit Anfang des Jahres die Teilrepubliken für die jeweilige Rüstungsproduktion zuständig sind. Die realsozialistischen Gewaltigen im Rüstungsgeschäft haben die Wende geschickt mitvollzogen. Gleichgeblieben ist der Zynismus, mit dem sie Produktion und Export von Waffen verteidigen. „Ein Bettler kann es sich nicht leisten, über Moral zu reden“, so der Kommentar des Direktors der Panzerfabrik in Martin zum Rüstungsgeschäft mit Syrien. Dieser Ton trifft nicht nur die Stimmungslage der slowakischen Arbeiter, er umschreibt auch den Kurs der Regierung in Prag. Diese findet sich in einem Dilemma, das sie aus eigener Kraft nicht bewältigen kann. Die noch ungefestigte demokratische und föderative Ordnung in der CSFR bedarf des Konsenses; es darf nicht riskiert werden, daß Massenarbeitslosigkeit im Gefolge einer Stillegung der Waffenproduktion den rechten und pseudolinken Demagogen Auftrieb gibt. Andererseits verlieren die „Anti-Politiker“ des November '89, die Politik aus dem Gewissensentscheid machen wollten, ihre Glaubwürdigkeit, wenn sie in jeder Frage auf die bekämpften pragmatischen Positionen übergehen. A fortiori gilt das für den Panzerexport nach Syrien, denn Dienstbier und die Seinen wissen sehr wohl, daß das Baath-Regime sich mit dem Existenzrecht Israels nie abgefunden hat. Helfen könnten nur die westlichen Industriestaaten, indem sie in die Konversionsprojekte investieren. Aber so gern man sich dort der Unterstützung der CSFR für die alliierte Seite im Golfkrieg versicherte, und so angeregt man den Vorschlägen aus Prag für ein kollektives Sicherheitssystem lauschte — für die Folgekosten seiner Politik muß jeder allein einstehen. Christian Semler
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