: Grüne ohne Fundament
■ Fundis beschließen den Austritt aus der grünen Partei/ Ditfurth sieht keinen Unterschied mehr zwischen rot-grün und der CDU/ Beistand erhofft man sich von der ökologischen Linken der PDS und allem, was zwischen SPD und Grünen abbröckelt
Aus Frankfurt Mathias Bröckers
„Die Grünen sind seit diesem Wochenende für wirkliche gesellschaftliche Veränderungen verloren. Die politische Verantwortung bedeutet nicht mehr Verantwortung für Mensch und Natur, sondern bettelnde Unterwerfung in die Logik sozialdemokratischer Kabinette... E ist vorbei. Die Grünen sind nicht mehr unsere Partei.“ Der Parteiaustritt der ökologischen Linken, den Jutta Ditfurth in Neumünster mit diesen Worten angekündigt hatte, wurde am Samstag in Frankfurt vollzogen. Bei drei Gegenstimmen beschlossen die etwa 350 Angehörigen des „Forum der RadikalökologInnen, ÖkosozialistInnen und FeministInnen innerhalb & außerhalb Grünen“, das Wort „innerhalb“ in ihrem Organisationstitel zu streichen: Austritt aus der grünen Partei.
„Mit Neumünster“, so Jutta Ditfurth in ihrem Eröffnungsbeitrag, „war für uns der Tiefpunkt einer seit langem abschüssigen Bahn erreicht. Es gibt keinen anderen Zeitpunkt, als die neue rechts-grüne Partei jetzt zu verlassen.“ Nach der beschlossenen Strukturreform — Abschaffung der Rotation und Trennung von Amt und Mandat — sieht die Fundi-Chefin bei den Grünen keine „Nische mehr, in der sich Linke authentisch ausdrücken können.“ Statt dessen sei das ehemals radikalökologische Bündnis zu einer „neu-grünen Mittelstandspartei“ geworden, das demnächst („darauf wette ich“) auch Koalitionen mit Konservativen eingehen werde: „Hochhäuser sind von Rosa- Grün in Frankfurt leichter zu kriegen als von der CDU, Rosa-Grün steht für die Zerstörung der ökologischen Grundlagen genauso wie die CDU — aus welchen Motiven ist mir egal.“
Jutta Ditfurth ist eine gute Rednerin. Verglichen mit Kellys Betroffenheitsvibrato, Vollmers Pfarrerinnentimbre und dem allgemein dürftigen Ausstrahlungsniveau grüner Politdarstellerinnen gilt sie geradezu als Ausnahmeerscheinung: Frisch, fröhlich und gar nicht fromm. Und wie sie die „moralische Verschlissenheit“ einer angepaßten, durchhierarchisierten „Kaderpartei“ ordnungsliebender „Kleinbürger“ so schildert, kann einem das bei einem Fast-Forward in die Zukunft durchaus plausibel scheinen: die Grünen als Öko-FDP im Jahr 2005, mit Joschka Fischer als Genscher und ein bißchen Öko-Kosmetik mehr oder weniger je nach Koalitionslage. Ob dann Jutta Ditfurth für die Öko- Linke im Parlament gegen den grünen Genscherismus giftet oder wegen Apo-Radikalismus im Knast sitzt und von Bundespräsidentin Antje amnestiert werden muß?
Doch so drastisch Jutta Ditfurth und die ihr folgenden Noch-Grünen mit regionalen Anekdoten den „Rechtsruck“ der Partei ausmalten — was dagegengesetzt wurde, blieb denkbar vage: die allgemeine Beschwörung von Basisdemokratie, Feminismus, sozialem Widerstand und einem gerade ausgelaufenen Modell: „Ohne Sozialismus geht es nicht, Öko-Sozialismus ist die einzige Lösung“, endete eine Rednerin und erntete heftigen Beifall. Dem „kapitalfreundlichen Opportunismus“, den die Fundis den Realos vorwerfen, steht ein dogmaverliebter Marxismus gegenüber.
Kontrovers diskutiert wurde am ersten Tag dieses Bundeskongresses wenig, nur vereinzelt plädierten RednerInnen dafür, innerhalb der Partei, vor allem in kommunalen Zusammenhängen, weiterzumachen; kämpferische Aufrufe, das grüne Projekt für die Fundis zu retten, fehlten völlig. Beistand, sprich Bündnispartner, erhofft man sich bei der ökologischen Linken vom nichtstalinistischen Rand der PDS, den Bürgerbewegungen, und all dem, was zwischen SPD und Grünen hinfort an Frustierten abbröckelt — für eine „alternative linke Kraft“. Wieviele Grüne jetzt dem aktuellen Austrittsbeschluß folgen werden, läßt sich nur an den Abstimmungsergebnissen in grünen Gremien schätzen — etwa zwischen 20 und 30 Prozent. Ähnliche Zahlen waren auch von Regional-Grünen zu hören, die von schmachvollen Niederlagen durch intrigante Realo-Übermächte berichteten. Einige von ihnen wollen dennoch so rasch nicht austreten — um der totalen Isolierung auf dem flachen Land zu entgehen und um laufende regionale Projekte zu Ende zu bringen. Ihnen wurde mit einem Zusatzparagraphen im Beschlußantrag bürokratisch Gnade gewährt: „Die Offenheit für später austretende Linke wird gewährleistet.“ Die ausgetretenen Fundis wollen außer als bundesweite Arbeitsgemeinschaft und „Netzwerk“ sich künftig auch in einer neuen Linkspartei (Ökologische Linke/Alternative Liste) formieren — die Diskussion darüber wurde am Sonntag morgen geführt. Die Gefahr, nach der Trennung von den Grünen zur „Sekte abzudriften“ wurde eher gering eingeschätzt, für ein breites „neues anti-kapitalistisches Projekt“ sehen die Öko-Linken durchaus Chancen: „Wir müssen den Grünen das Monopol der Opposition wegnehmen“, forderte ein Redner, ein anderer betonte, es könne nicht mehr darum gehen, „politikfähig“ im Sinne der Sozialdemokratie zu werden: „Wer uns deswegen Utopismus vorwirft, hat den Kampf um eine wirkliche Veränderung der Gesellschaft längst aufgegeben.“
Dieser 11. Mai 1991 wird als wichtiges Datum in den politischen Kalender eingehen: als strömungsübergreifendes Bündnis bricht die Partei zwölf Jahre nach ihrer Gründung auseinander, die Grünen verlieren ihr Fundament.
Mit dem Abgang des radikalen Flügels ist die medienwirksamen Dialektik von Realos und Fundis aufgehoben, das Herz des parlamentarischen Hoffnungsträgers tickt nicht mehr im Rhythmus von Widerstand und Anpassung. Das grüne Ideal von einer anderen Politik, der Traum einer neuen, direkteren Art der Volksvertretung — auf der Veranstaltung an diesem Wochenende wurde er beerdigt.
Die Diktatur des Sachzwangs, die Autorität des Normalen hat das Andere, Außergewöhnliche, Alternative eingeholt — seit Samstag sind die Grünen ein normaler Gaul auf dem Bonner Parteienkarusell: Banalos. „Realo“ wird sich niemand mehr nennen können, wo das Pendant, der fundamentalistische „Ir-Realo“, nicht mehr vorhanden ist.
Wie viele Wahlstimmen die Grünen mit dem Abgang der Fundamentalisten einbüssen, bleibt abzuwarten — auf „massenhafte“ Resonanz hofft Jutta Ditfurth weniger auf Bundesebene, sondern im regionalen und kommunalen Bereich. Für grüne MinisterInnen und LandrätInnen in spe gab es am Samstag abend allen Grund, die Champuskorken knallen zu lassen. Ehrgeiz auf der einen Seite, und auf der anderen die ewig falsche Wiederverrichtung, wie sie in dem vielsagenden Druckfehler in der ausliegenden Ankündigung von Jutta Ditfurths neuem Buch aufscheint: „Ihr Ziel ist die Wiederverrichtung einer breiten linken Widerstandskultur.“ Widerstand als Ritual — der Titel des Ditfurth-Buches offenbart das ganze Dilemma der Fundis: „Lebe wild und gefährlich“ — das ist nun wirklich zuviel: „Wild und gemütlich“ hätte es natürlich heißen müssen.
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