: »Kombipack« aus Mahnmal und Knast
■ Die Justizsenatorin lud zum Besuch im ehemaligen Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen ein, das sie für den offenen Vollzug nutzen will/ taz-Fotograf erzählt die Geschichte seiner Inhaftierung/ »U-Boot«-Zellen bis Anfang der sechziger Jahre
Hohenschönhausen. Eine kleine Schiebeluke von abblätternder Farbe öffnet sich, ein mißtrauisches Auge schaut hindurch. »Wollen Sie auch zum Besichtigungstermin der Justizsenatorin?« Ein Schlüssel dreht sich im Schloß, doch dann versperren zwei Wärter den Weg: »Den Presseausweis.« »Bitte.« »Und die Einladung der Senatorin?« Die überpenible Kontrolle erinnert doch sehr an alte Zeiten, auch wenn Senatorin Limbach wenige Minuten später versichert, »kein einziger« der früheren Bediensteten der Staatssicherheit sei hier im ehemaligen Stasi-Knast Hohenschönhausen noch angestellt.
Es sind eh nur noch wenige, die das ausgedehnte, von einer hohen stacheldrahtbewehrten Mauer und Wachtürmen umzingelte Areal bewachen. Denn das Gefängnis wurde im November 1990 stillgelegt. Die Berliner Justizbehörde nutzt bloß noch einen kleinen Teil der Räume, in denen die zentrale Gefangenendatei der DDR untergebracht ist. Doch Frau Limbach plant eine neue Inbetriebnahme: »Wir überlegen, ob wir Teile des Geländes entsprechend dem Weststandard sanieren und für den offenen Vollzug und Freigänger nutzen.« Eine geplante Gedenkstätte für die Stasi-Opfer könne dann in einem anderen Teil untergebracht werden. Ein »Kombipack« aus Mahnmal und Knast also, beschwerten sich eben jene fürs stille Gedenken vorgesehenen Ex-Gefängnisinsassen am letzten Freitag bei einer Pressekonferenz des Bündnis 90/Grüne. Eine »geschichtslose Barbarei« sei das. Dann dürfte man auch die Haftanstalt Plötzensee nicht dulden, verteidigte sich nun Limbach — wohl wahr.
Eine Gedenkstätte, das sei eine gute Sache, aber dann bitte nichts weiter, findet Andrée Kaiser, der seit langem als Fotograf frei für die taz arbeitet. Der gebürtige Ostberliner hat auf diesem Presserundgang die Zelle wiedergefunden, in der er von Oktober 1982 bis Juli 1983 in Untersuchungshaft saß. Tatvorwurf: öffentliche Herabwürdigung der DDR, illegale Kontaktaufnahme und versuchte Republikflucht. Mit anderen zusammen hatte Andrée als 17jähriger Flugblätter in Briefkästen geworfen, auf denen sie sich gegen die Militarisierung und Uniformierung der Gesellschaft wandten. Als zwei der Gruppe verhaftet wurden, versuchte Andrée bei der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik die Möglichkeiten zur Ausreise zu erkunden. Beim versuchten Grenzübertritt in der Tschechoslowakei wurde dann auch er festgenommen und in den Knast Hohenschönhausen verfrachtet.
Nun steht er zum ersten Mal seit neun Jahren erneut auf diesem Gelände. Einige zögernde Schritte, dann hat er die Orientierung wiedergewonnen, und er steht in seiner alten Zelle. Tisch. Zwei Stühle. Klo. Waschbecken. Etagenbett. Glasbausteine statt eines Fensters — den Himmel bekam er acht Monate nicht zu sehen.
Er durfte auch niemand anders sehen. Die Gefangenen, allein oder zu zweit in einer Zelle, wurden in strikter Isolation gehalten. Vertrauliche »Hinweise für das taktische Verhalten Strafvollzugsangehöriger« empfahlen das Abhören der Gefangenen durch »Hörrohre« oder »Stethoskope« an Toilettenrohren und »geräuschloses Verhalten« inklusive »Unterdrückung des Husten- und Niesreizes«.
Unterdrückung des Lachreizes auch? So vieles an diesem untergegangenen Regime wirkt heute lächerlich. Zum Beispiel die Numerierung der namenlosen Gefangenen pro Zelle: »Nummer 1 und Nummer 2, und gezählt wurde von rechts nach links«, erinnert sich Andrée Kaiser.
Für ihn war »die Ungewißheit das Schlimmste«. Damals, in Hohenschönhausen, wußte er noch nicht, daß er zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt werden sollte. Drei Jahre saß er in Cottbus ab, dann wurde er in den Westen freigekauft. Davor lagen endlose Verhöre mit immer demselben Vernehmer, »mal acht Stunden pro Tag, dann wochenlang wieder nichts. Sie wußten genau, wie man Menschen psychologisch zermürbt.« »Jetzt ist Mai, und überall draußen gehen die Mädchen in ihren Miniröcken spazieren, willst du nicht auch mal raus?« habe ihn der einmal mehr als deutlich als Stasispitzel zu gewinnen versucht. Doch Andrée stellte sich dumm, »und schließlich ließ er ab«.
Mit dem »U-Boot«, erstickend kleinen unterirdischen Zellen ohne jedes natürliche Licht, hat Andrée Kaiser zum Glück keine Bekanntschaft mehr gemacht. Hier wurden in den 40er und 50er Jahren Gefangene isoliert, zum Teil angeblich sogar in Stehzellen, als der Knast noch als Internierungslager der Sowjets diente. Von 5.000 starben damals 3.000 Insassen an Unterernährung und Lungenkrankheiten.
War es Folter, in Hohenschönhausen zu sein? Andrée zögert. Ihm ist anzumerken, daß er weder ja noch nein sagen will und diese Zeit so weit weg wie möglich geschoben hat. Für ihn ist nur klar: »Den Knast zumachen, das wäre das beste.« Ute Scheub
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