: Chemiemultis sollen für Giftmüll zahlen
Wiesbaden (taz) — Da wird den Herrschaften in den Chefetagen der hessischen Chemiemultis der Angstschweiß ausgebrochen sein: Ganze hundert Deutsche Mark im Durchschnitt sollen sie demnächst für eine Tonne der von ihnen „produzierten“ entsorgungspflichtigen Sonderabfälle an die Landeskasse in Wiesbaden überweisen.
Ein Betrag, den die Unternehmen, so Kritiker Eduard Bernhard vom Vorstand des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) „problemlos aus der Portokasse abzweigen“ könnten. Der von den Koalitionsparteien vorgelegte Gesetzentwurf sei zwar „ein Schritt in die richtige Richtung“, doch mit derart geringen Gebühren werde man vor allem „Großgiftmischer“ wie die Frankfurter Hoechst AG nicht zu einer Umsteuerung im Bereich Sondermüll veranlassen können.
Die Landtagsabgeordneten Sieghard Pawlik für die Sozialdemokraten und Horst Burghardt für die Grünen verteidigten gestern auf einer Pressekonferenz im Landtag den an eine gesetzliche Regelung in Baden- Württemberg angelehnten Entwurf der Koalitionsparteien. Die Chemieunternehmen, so Pawlik, hätten scharf zu kalkulieren. Und deshalb werde sich auch eine geringe Abgabe für „produzierten“ Sondermüll Wirkung zeigen. Ohnehin sei ab Januar 1993 eine Verdoppelung der Abgabesätze vorgesehen — „und deshalb gehen von der Abgabe spürbare Vermeidungsanreize aus“ (Pawlik).
Der Sozialdemokrat Pawlik, der als Verfahrensingenieur bei der Hoechst AG angestellt ist, verweist darüber hinaus auf die zu erwartenden Einnahmen von etwa hundert Millionen Mark für das Land. Und die sollen, so Burkhardt von den Grünen, zweckgebunden für die Forschung im Vermeidungs- und Entsorgungsbereich und für die Altlastensanierung verwendet werden.
Die neue Landesregierung hat zusätzlich ein Lieblingsprojekt von Umweltminister Joschka Fischer aus der ersten rot-grünen Ära Hessens aufgegriffen. Mit einem Forschungszentrum Abfallwirtschaft wollen SPD und Grüne demnächst den Know-how-Vorsprung der Industrie aufarbeiten. Daß SPD und Grüne nur knapp fünf Wochen nach der Vereidigung der Regierung Eichel/Fischer den Entwurf für das Giftmüllabgabengesetz morgen im Landtag einbringen werden, hat seinen Grund. In Bonn bastele nämlich Umweltminister Töpfer (CDU) gleichfalls an einem Gesetzentwurf zum Thema.
Und ein bundeseinheitliches Sonderabfallabgaben-Gesetz, da sind sich SPD und Grüne in Hessen einig, könne inhaltlich nur ein „Rückschritt“ im Vergleich mit den in Hessen angestrebten und in Baden-Württemberg bereits verwirklichten Bestimmungen sein.
Falls Minister Töpfer „in den nächsten Jahren“ (Pawlik) mit einem eigenen Entwurf tatsächlich zu Potte kommen sollte, sind die landeshoheitlichen Entwürfe allerdings obsolet: Bundesrecht bricht Landesrecht.
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