Mit Giftmüll durch die Krise

Die thüringische Kali-Industrie will mit Einlagerung von Sonderabfällen überleben/ Anwohner und Politiker der ohnehin belasteten Gegend befürchten weiteren Imageverlust bei Investoren  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Der Zugführer hat über mehrere Kilometer hinweg auf der Bremse stehen müssen, um den Nahverkehrszug von Erfurt sicher ins abgelegene Wipper-Tal einrollen zu lassen: Zielbahnhof Sondershausen. Sondershausen war und ist die thüringische Kali-Hauptstadt. Hier residiert die „Mitteldeutsche Kali-AG“, hoch über der Stadt in einem weißen Verwaltungsgebäude vor einem roten, australisch anmutenden Abraumberg. Die Kreisstadt, einstmals Luftkurort, hat in den vergangenen Jahrzehnten allein auf die Salzförderung im Kalirevier gesetzt. Elektrolyse- Öfen haben die Luft verpestet — von Kurort kann keine Rede sein. „An das Raushängen von Wäsche war dann nicht zu denken“, erinnern sich Mitarbeiter des Kaliwerks. Inzwischen laufen die Öfen, wie so viele in der ehemaligen DDR, auf Sparprogramm. Bromreste aus der Kaliproduktion verseuchen nicht mehr täglich die Wipper, den kleinen Nebenfluß der Unstrut. Und das Rappeln der Tassen im Küchenschrank, wenn im Kaliwerk wieder mal der Berg brach, hat auch aufgehört.

Kali war ihr Leben, aber jetzt geht es ums Überleben. Etliche der Thüringer Minen sollen stillgelegt werden. Sie sind international nicht konkurrenzfähig. Von den 24.000 Mitarbeitern der ostdeutschen Kaliindustrie will die „Mitteldeutsche“ letztlich nur 8.000 weiterbeschäftigen. Allein in Sondershausen bleiben von rund 2.000 Kali-Arbeitsplätzen wahrscheinlich nur 800 übrig. Und trotz dieser Schrumpfung glauben die Kali-Manager auf einen gefährlichen neuen Betriebszweig nicht verzichten zu können. Neben die traditionelle Produktion von Kali und Steinsalz soll die Einlagerung von Giftmüll unter Tage treten. Dabei ist auch dem Vorstandssprecher der Kali-AG, Teusch, nicht ganz wohl. „Natürlich wollen wir hier nicht gerne Sondermüll“, aber das sei eins der Standbeine für eine Überlebensstrategie. Auch wenn nur zwei oder drei Gruben überhaupt geeignet seien, „die Verwendung der beim Kali- und Salzbergbau entstehenden Hohlräume ist grundsätzlich möglich“, beharrt Teusch. Er rechnet mit einer Größenordnung von 150.000 bis 200.000 Tonnen Müll im Jahr, aber bitte nicht aus dem Westen.

Die Salzmanager sind empfindlicher geworden. Eine der Töchter der „Mitteldeutschen“, die Kali-WerraAG, hatte in ihrem Antrag (Juli 1990) zur Eröffnung eines Raumordnungsverfahrens für eine mögliche Giftmüllgrube in Springen/Thüringen als Einzugsgebiet noch die „BRD/DDR“ genannt.

Beredt schildert der Vorstandsvorsitzende die wirtschaftlichen Nöte des Ex-Kombinats und wirbt um Verständnis. Die Kali-Industrie habe schwer zu kämpfen. Auf dem Weltmarkt müsse sie mit den billigen Kunstdüngerherstellern konkurrieren, und auf dem heimischen Markt werde weniger Kunstdünger verbraucht als in der Vergangenheit.

Dazu kommen die Imageprobleme: Die Werra und damit auch die Weser haben die Kaliwerker mit Salz verdreckt, die Luft der Umgebung mit dem Ruß der Elektrolyse-Öfen, und seit 1989 gilt die Salzbuddelei auch noch als potentielle Erdbebengefahr. Damals, am 13. März, hatten in Frankfurt am Main die Wolkenkratzer gewackelt, weil im Kalirevier ein großer Gebirgsschlag erdbebenartige Wellen auslöste.

Der Salzabbau erfolgt in Ost und West gleichermaßen. In den zurückbleibenden Hohlräumen werden Pfeiler aus Salz als Stütze stehen gelassen. Im Westen haben diese „roman pillars“ eine Kantenlänge von immerhin 45 Metern, in den Ostrevieren ging man (angeblich beim nachträglichen intensiveren Ausbeuten) zum Teil auf 36 Meter Kantenlänge herunter. Bei dem brüchigen Salz einiger Minen offenbar nicht genug. Großflächig brach an jenem Märztag die Salzgrube Karl Liebknecht in Völkershausen ein.

Risse im Kirchturm

Sieben DDR-Bürger wurden damals von herabfallenden Trümmern verletzt, und mehr als 80 Prozent aller Häuser in Völkershausen waren zum Teil schwer zerstört. Der Turm der Dorfkirche mußte abgerissen werden. Westliche Wissenschaftler vermuten, daß acht Quadratkilometer Grube damals einbrachen, weil mehrere tausend Stützpfeiler sie nicht mehr tragen konnten.

Im Ort hat der Raubbau unter Tage zu den in Bergbauregionen vertrauten Rissen in den Wänden geführt. Michaela Oswald, angehende EDV-Kauffrau aus der Kreisstadt, weiß noch mehr: „Auch in der letzten Zeit hat es noch gerumst.“ Wie immer seien Sprengungen daran Schuld gewesen. Der unruhige Untergrund fordert seinen Preis. „Es sollte ein Hallenbad gebaut werden. Das ging nicht, weil sich der Boden überall absenkte.“ In der Innenstadt sackte der Boden in den vergangenen zehn Jahren um 1,40 Meter ab.

Die Kaliwerke hätten vor allem früher immer wieder Rückstände in den Fluß gepumpt, erinnert sich die junge Frau. Während ihr Vater noch im Fluß habe schwimmen können, hätten sie mit der Schulklasse Proben im Fluß genommen. Deren Ergebnisse seien immer erheblich schlimmer gewesen als die offiziellen, bestätigt Frau Oswald. Als die rührigen Schüler und Schülerinnen die Meßwerte mit einem Flugblatt öffentlich machen wollten, sei allerdings damals der Schulleiter eingeschritten. Ihre Meinung steht fest: „Die haben schon viel total versaut hier in der Gegend.“ Und für die Giftmülleinlagerung sieht sie breiten Widerstand. „Die meisten sind dagegen.“

Den Eindruck haben auch die LokalpolitikerInnen. In Großfurra, dem Nachbarort, gleich westlich der Kali-Hauptstadt, hat Bürgermeisterin Jutta Hutmacher selbst vor Monaten eine Unterschriftensammlung gegen die Giftmülleinlagerung initiiert. Sie habe den Eindruck gehabt, das gehe alles viel zu schnell und ohne Bürgerbeteiligung, so die engagierte Lokalpolitikerin. „Ich stehe der Deponie skeptisch gegenüber, die Langzeitsicherheit ist problematisch.“ Außerdem verursache die Aussicht auf die Giftmüllgrube Imageprobleme. „Mehrere Investoren für das Gewerbegebiet haben schon Abstand genommen, und dem Fremdenverkehr in der Region schadet es auch“, so Hutmacher. Wilhelm Schreyer, stellvertretender Bürgermeister von Sondershausen, sieht das ähnlich. „Wir haben außerordentliche Bedenken.“ Die Arbeitsplätze, die durch die Giftmülleinlagerung erhalten blieben, seien „minimal“. Auch er fühlt sich „offiziell nicht genug informiert“ und will deswegen eine Anfrage im Landtag lancieren.

Möglicherweise wird gerade die idyllische Lage im Wipper-Tal den Deponieplänen der „Mitteldeutschen“ zum Verhängnis. Der Fluß geht nah am Schacht vorbei und läßt Wassereinbrüche möglich scheinen. Vor allem aber hat Hutmacher beobachtet: „Der vorgesehene Transportweg geht durch ein Trinkwassergewinnungsgebiet. Es gibt da eine lange und steile Abfahrt für die Lkws.“