: Reisefreiheit für SU-Bürger scheitert
Moskau (ap/dpa) — Auf unerwartete Hindernisse ist am Montag vor dem Parlament der UdSSR der Gesetzentwurf über Freizügigkeit im Reiseverkehr für alle Sowjetbürger gestoßen. Bei der Abstimmung im Nationalitätensowjet, einer der beiden Parlamentskammern, verfehlte die Vorlage die für eine Annahme erforderliche Mehrheit um zwölf Stimmen. Die andere Kammer, der Unionssowjet, hatte das Gesetz zuvor gebilligt. Eine erste Fassung des Gesetzes, wonach allen Sowjetbürgern ab dem nächsten Jahr die volle Freizügigkeit zugestanden werden sollte, war vom Obersten Sowjet bereits im November 1989 verabschiedet worden. Doch hatte sich die weitere Arbeit an dem Gesetz 18 Monate lang hingeschleppt. Am letzten Dienstag war dann eine endgültige Fassung vorgelegt worden.
Fjodor Burlazki, Mitglied des Parlamentsausschusses für internationale Angelegenheiten und einer der Verfasser des Entwurfs, hatte die Abgeordneten am Sonntag aufgefordert, dem Gesetz zuzustimmen. Es würde die Rückkehr der sowjetischen Gesellschaft zur Normalität bedeuten.
Zu Beginn der Parlamentssitzung erklärte der stellvertretende sowjetische Ministerpräsident Stepan Sitarjan, daß die sowjetische Regierung das neue Gesetz voll unterstütze, es derzeit aber nicht finanzieren könne. Wegen der damit verbundenen hohen Kosten soll das Gesetz nach der bisherigen Planung am 1. Juli 1992 in Kraft treten. Nach Sitarjans Worten muß die UdSSR bis 1995 rund 19 Milliarden Rubel — davon 7,5 Milliarden in Valuta — für die Finanzierung der Auslandsreisen ihrer Bürger aufbringen. Die Regierung müsse für mehr Flugzeuge, Eisenbahnen und eine bessere Ausstattung der Zollämter sorgen.
Als besonders strittig erwies sich in der Debatte die geplante wirtschaftliche Absicherung des neuen Reisegesetzes. Unstrittig ist hingegen, daß jeder Bürger künftig auf Antrag einen Reisepaß erhält. Die Zahl der Reisen wird nicht begrenzt. Nach der bisherigen Regelung erhalten Sowjetbürger ihren Paß nur für die Dauer je einer Reise.
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