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Formularflut im Paragraphenwald

■ Wie neue Bundesbürger nach der Vereinigung „zu Recht“ kommen/ Das Buch mit sieben Siegeln

Düsseldorf. „Die spinnen wohl“, kommentierte die Rostockerin das Formular für den Bafög-Antrag ihres Sohnes. Stein des Anstoßes war die Frage, ob die Arbeitsmarktlage zum Zeitpunkt, als sich der 21jährige für die Hochschulausbildung entschieden hatte, die Aufnahme dieses Studiums schon zuließ. „Es gab zu diesem Zeitpunkt bei uns noch gar keine Arbeitsmarktlage“, stellte die 47jährige fest und quittierte die vorgedruckte behördliche „Bitte um Verständnis“ für die Fragen mit einem schlichten Nein.

Den neuen Bundesbürgern, darauf wiesen Juristen aus der Ex-DDR zum Abschluß des Deutschen Anwaltstages in Düsseldorf am Wochenende hin, macht die neudeutsche Formularflut nicht nur bei amtlichen Anträgen zu schaffen. Auch in Privatgeschäften fühlen sich viele Ost- Bürger von dem im Westen üblichen Klauselwerk überfordert. Nur wenige von ihnen wissen um Rechte und Pflichten, die ihnen die deutsche Einigung im Zuge der Rechtsangleichung beschert hat. Zwar gilt — laut Einigungsvertrag — für die Abwicklung von gerichtlichen Streitigkeiten teilweise auch noch altes DDR- Recht. Grundsätzlich ist seit dem 3.Oktober 1990 auch in der Ex-DDR bundesdeutsches Recht wirksam — für viele Mitbürger im Osten ein Buch mit sieben Siegeln.

Bevor sich der Verbraucher hier auf sein Recht besinnt, so kritisiert die Ostberliner Rechtsanwältin Roswitha Baier-Sieslack, ist zum Beispiel die einwöchige Widerrufsfrist bei Kaufverträgen häufig schon abgelaufen. Einer ihrer Mandanten hatte sein gesamtes Geld „zusammengekratzt“, um eine Busreise nach Spanien zu unternehmen. Gleich am ersten Ferientag im sonnigen Süden kaufte er bei einer Veranstaltung für 3.000 Mark wärmende Lamadecken — „in euphorischer Stimmung“, so die Anwältin. Doch die Gemütslage änderte sich schnell — nach neun Tagen wieder zu Hause, stellte der Deckenbesitzer fest, daß er „reinen Schund“ erworben hatte. Zu spät. Für Frau Baier-Sieslack und ihre Kollegen ist das kein Einzelfall. Die bundesdeutschen Verbraucherschutzvorschriften, so meinen sie, reichen für das Gebiet der neuen Länder nicht aus. Der typische Ost-Bürger, der sich nach dem Geborgenheitsprinzip seine Nische im alten SED-Staat gesucht habe, werde auf einmal alleingelassen und müsse zusehen, wie er „zu Recht“ kommt, meint auch Rechtsanwalt Udo Blümel. Zumindest eine Generalklausel sollte speziell Verbraucher im Osten vor Übervorteilung und unseriösen Geschäftemachern schützen, fordern die Juristen.

Auch die Ost-Anwälte selbst haben derzeit noch Mühe mit der „Rechtsangleichung“. Von der Büroorganisation bis zur Kenntnis der bundesdeutschen Gesetze geht „nichts im Selbstlauf, kostet alles viel Kraft“, berichtet Blümel, der froh ist, daß die Kanzlei vier Monate nach der Bestellung — ein Exemplar des Bundesgesetzblattes erhielt. Iris Nustede (dpa)

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