Pflegeversicherung pflegt Stadtfinanzen

■ 6,5 Milliarden Mark Sozialausgaben für Altenstationen/ Pflegeversicherung würde Städte und Gemeinden stark entlasten/ Streit über Vorsorge als private oder gesellschaftliche Aufgabe scheidet die Geister

Frankfurt (ap) — Immer ungeduldiger mahnen Verbände, Städte, Kreise und Landesregierungen die Bonner Politiker, endlich eine Pflegeversicherung zu schaffen. Alles Klagen über die Entmündigung der Pflegeheimbewohner zu Taschengeldempfängern und erdrückende Sozialhilfekosten haben jahrelang nichts genützt. Doch nun scheint Bundessozialminister Norbert Blüm entschlossen, das Werk zu vollbringen. Auf seinen Entwurf hagelte es sogleich von allen Seiten mit Gegenmodellen. Druck kommt neuerdings auch aus den ostdeutschen Städten und Gemeinden, die sich Sozialhilfeausgaben nach westlichem Vorbild kaum leisten können.

Bis zu 5.400 Mark kostet es zum Beispiel in der Großstadt Frankfurt, einen alten Menschen einen Monat lang in einem Altenpflegeheim zu versorgen. Bei einer Durchschnittsrente von 1.700 Mark muß heute die Sozialhilfe für rund 70 Prozent der Pflegeheimbewohner die übrigen Kosten übernehmen. Für persönliche Ausgaben wie Kleidung, Friseur, Bücher oder Zigaretten wird den Sozialhilfeempfängern im Altenpflegeheim gerade mal ein Barbetrag von mindestens 134,70 Mark (30 Prozent des Sozialhilferegelsatzes) bis höchstens 202,10 Mark zugestanden.

Die Altenpflege kostet die Städte und Gemeinden im alten Bundesgebiet 1991 rund 6,5 Milliarden Mark. Sie zahlen diese Summe als Umlage an die überörtlichen Sozialhilfeträger, das sind entweder die höheren Kommunalverbände (Landeswohlfahrts-, Bezirks- oder Landschaftsverbände) oder seltener das Sozialministerium des Bundeslandes. So kostet die Pflege von 40.000 Heimbewohnern in den Regierungsbezirken Köln und Düsseldorf die 14 Städte und 13 Kreise im Landschaftsverband Rheinland 2,4 Milliarden Mark. Für rund 25.000 Pflegefälle kalkuliert der Landeswohlfahrtsverband Württemberg-Hohenzollern 600 Millionen Mark.

Eine Pflegeversicherung würde die Städte und Gemeinden auf einen Schlag reicher machen. Die überörtliche Sozialhilfe wäre dann vor allem noch für die Versorgung von Behinderten und Psychiatriepatienten zuständig. In der Altenpflege müßte sie nur noch für die Fälle zahlen, in denen die Rente nicht für Wohn- und Verpflegungskosten im Heim ausreicht. „Insgesamt zwei bis drei Milliarden Mark werden an den Kommunen hängenbleiben“, schätzt Siegfried Gaertner, Beigeordneter beim Deutschen Landkreistag in Bonn.

Die kommunalen Spitzenverbände unterstützen den Entwurf der CDU-Pflegekommission unter der Leitung von Blüm. „Dabei geht es nicht in erster Linie um eine finanzielle Entlastung der Sozialhilfeträger“, erklärte Ludwig Fuchs vom Deutschen Städtetag, „vielmehr soll eine angemessene Pflege zu Hause oder in einem Heim möglich sein, ohne daß die Pflegebedürftigen zur Finanzierung der Heimkosten auf die Sozialhilfe verwiesen werden müssen“. Es führe zu erheblichen seelischen Belastungen, wenn das Sozialamt die Kinder zur Unterhaltspflicht heranziehe.

Die Kosten in Altenheimen richten sich nach dem Grad der Pflegebedürftigkeit. In der ersten Stufe liegen sie zum Beispiel in Frankfurt bei 70 bis 90 Mark am Tag und in der zweiten zwischen 90 und 100 Mark. In der Mehrzahl liegen jedoch alte Menschen, die intensive Pflege brauchen, auf den Stationen. Für die Pflegestufen drei und vier muß mit 100 bis 180 Mark am Tag gerechnet werden. Am teuersten sind die Personalkosten, die auf rund 90 Prozent geschätzt werden. Würden diese von einer Pflegeversicherung gezahlt, verbliebe den Heimbewohnern nur noch ein Eigenanteil von 540 Mark bei einem Monatssatz von 5.400 Mark.

Hoffnungen setzen viele Befürworter einer Pflegeversicherung in die häusliche Betreuung. Da die Versicherung auch dafür zahlt, könnten Pflegekräfte stundenweise in der Wohnung des Pflegebedürftigen beschäftigt werden.

An der Kernfrage, ob die Vorsorge für den Pflegefall eine gesellschaftliche Aufgabe wie die Kranken- und Rentenversicherung ist oder Privatsache wie die Haftpflichtversicherung, scheiden sich die verschiedenen Modelle für die Pflegeversicherung.

Blüm hat mit seinem Entwurf einer von Arbeitnehmern und Arbeitgebern finanzierten Pflegeversicherung unter dem Dach der gesetzlichen Krankenkassen die Wohlfahrtsverbände, viele Bundesländer und die Gewerkschaften auf seiner Seite. Die FDP hat mit ihrem Modell einer Privatversicherung vor allem die Arbeitgeber hinter sich, die sich für Beiträge zur Pflegeversicherung nicht zuständig fühlen.

Eine private Vorsorge würde ähnlich der privaten Krankenversicherung alte Menschen, wenn überhaupt, nur zu stark erhöhten Beiträgen aufnehmen — wenn nicht, schlägt die FDP vor, wie bisher Sozialhilfe zu zahlen, aber das Taschengeld heraufzusetzen. Die CDU-Pflegekommission will nur Besserverdienende von der gesetzlichen Pflegeversicherung ausschließen. Wer mehr als 4.875 Mark im Monat verdient, soll sich ebenso wie Beamte und Selbständige selbst versichern.