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Ende der Eiszeit zwischen Moskau und Peking

■ 34 Jahre ist es her, daß ein chinesischer Parteichef zum letzten Mal in Moskau war - damals der legendäre Mao Zedong. Die Beziehungen zwischen den kommunistischen Großmächten haben sich seit...

Ende der Eiszeit zwischen Moskau und Peking 34 Jahre ist es her, daß ein chinesischer Parteichef zum letzten Mal in Moskau war — damals der legendäre Mao Zedong. Die Beziehungen zwischen den kommunistischen Großmächten haben sich seit dem Gorbatschow-Besuch in Peking im Frühling 1989 entspannt. Heute weilt KP-Chef Jiang Zemin bei Gorbatschow.

Mit Jiang Zemin trifft heute zum ersten Mal seit 34 Jahren wieder ein Vorsitzender der Kommunistischen Partei Chinas in Moskau ein — nach Mao Zedongs Besuch im Jahr 1957. In der langen Periode zwischen beiden Visiten prägten heftige Polemik, Grenzkonflikte und Stellvertreterkriege in Asien und Afrika das sino- sowjetische Verhältnis. In jüngster Zeit jedoch wenden sich die beiden Regimes einander zu und geloben sich ewige Freundschaft, auf der Suche nach neuer Unterstützung — jetzt, da beide innenpolitisch bedroht und außenpolitisch geschwächt sind.

Für Jiang Zemin bedeutet der Besuch die Rückkehr an die Stätte seines frühen Wirkens: In den Jahren 1956 und 1957 absolvierte er ein Praktikum in der Moskauer Automobilfabrik „Stalin“. Karriere machte er seitdem allerdings weniger als Ingenieur denn als Stalinist.

Merkwürdigerweise sind die sino-sowjetischen Beziehungen heute — zumindest an der Oberfläche — besser als im Jahre 1957. Damals war Mao Zedong empört über die Geheimrede Nikita Chruschtschows, in der er Stalin verdammte. Damals auch stritt er mit dem sowjetischen Parteichef um die Führung in der kommunistischen Welt. Heute ist nur wenig übriggeblieben, worüber noch zu streiten wäre, und China scheint sich der Aufgabe verschrieben zu haben, seinen Beitrag zur Stützung der Autorität Moskaus und dessen Festhalten am Sozialismus zu leisten.

Offiziell haben sich die sino-sowjetischen Beziehungen vor zwei Jahren normalisiert, als Michail Gorbatschow — mitten in einem Massenaufstand für eine chinesische Perestroika — Peking besuchte. Doch Gorbatschow war in seiner Eigenschaft als Präsident der UdSSR und nicht als Parteiführer nach China gereist.

„Nach Gorbatschow die Sintflut“

Im Mai 1989 traf Gorbatschow sich mit dem damaligen Vorsitzenden der Chinesischen Kommunistischen Partei, Zhao Ziyang, und erklärte die Eiszeit in den Beziehungen zwischen den Bruderparteien für beendet. Als jedoch der Besuch im April 1990 erwidert wurde, kam Premier Li Peng — auch er ein Technokrat, der in der Sowjetunion ausgebildet worden war. Damals beschimpften die chinesischen Führer in privaten Gesprächen Gorbatschow für seine windelweiche ideologische Haltung gegenüber den Reformforderungen in Osteuropa; das war, nachdem sich China beim Tiananmen-Massaker vom Juni 1989 als harter Verteidiger der Ideologie erwiesen hatte.

Im vergangenen Jahr hat China jedoch die Bedenken gegen die sowjetische Haltung beiseite geschoben, da die Regierung in Peking befürchtete, daß „nach Gorbatschow die Sintflut“ zu erwarten sei. China ist besorgt über die Verbreitung separatistischer Strömungen unter den ethnischen Minderheiten jenseits der oft willkürlich verlaufenden und über 7.000 Kilometer langen gemeinsamen Grenze. Aber China hat auch mit Schrecken das Ausmaß der US- amerikanischen Hegemonie in der Folge des Golfkrieges zur Kenntnis genommen — und erinnert sich nostalgisch an die Zeit, als es noch das „strategische Dreieck“ zwischen Washington, Moskau und Peking gab.

„Die Sowjetunion steht vor vielschichtigen Widersprüchen im eigenen Lande, und ihre internationale Macht schwindet“, schrieb der chinesische Außenminister Qian Qichen. „Aber militärisch ist sie immer noch die einzige Macht, die fähig ist, den USA entgegenzutreten.“ So sind nun also die internen Polemiken beendet. Statt dessen hilft China Gorbatschow mit billigen Krediten von über zwei Milliarden Mark aus, damit dieser die leeren Regale der Sowjets mit chinesischen Rohstoffen und Konsumgütern füllen kann. Der sowjetische Vize-Außenminister Igor Rogatschow sagte im März: „Unsere chinesischen Freunde betonen, daß (...) die Sowjetunion als Staat erhalten bleiben sollte. Und sie tun von ihrer Seite ihr Bestes, um uns bei diesem Prozeß zu unterstützen.“

Im Gegenzug hofft China, das von der westlichen Militärhilfe seit dem Massaker auf dem Tiananmen-Platz 1989 abgeschnitten ist, auf Teilhabe an sowjetischem militärischem Know-how. Anfang dieses Monats besuchte mit dem sowjetischen Verteidigungsminister Dmitri Jasow der bislang hochrangigste sowjetische Militärfunktionär China. Berichten zufolge stehen beide Seiten kurz vor einem Abkommen über den Verkauf von SU-27-Kampffliegern. Auch Rogatschow sagte, beide Seiten hätten sich darauf geeinigt „dort, wo Meinungsunterschiede existieren, diese nicht zu dramatisieren“.

Nach mehr als drei Jahrzehnten gegenseitigen Mißtrauens sieht es so aus, als gäbe es auch nach diesem kurzen Frühling immer noch beträchtliche Schwierigkeiten. Kein Wort fällt heute über die früheren Hoffnungen, daß Jiang Zemins Reise nach Moskau durch die Unterzeichnung eines Vertrages über die Grenzziehung oder Demilitarisierung der Grenzregion unterstrichen werden könnte — trotz eines „im Prinzip“ erreichten Abkommens über Truppenreduzierungen, das bereits anläßlich Li Pengs Reise unterzeichnet worden war.

Die Regierung in Peking ist Berichten zufolge frustriert über die nur mühsamen Fortschritte, und gleichzeitig besorgt, daß sich die Verhandlungen dahinschleppen könnten, bis es keine zentrale sowjetische Regierungsgewalt mehr gibt, mit der Verhandlungen geführt werden könnten. Insbesondere fürchtet China, die Truppen des ehemaligen Warschauer Pakts könnten nun in den Osten verschoben werden — an die Grenze zu China. Simon Long, Peking

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