piwik no script img

JUGENDFREIE SCHLEPPERFILMEMeilenstein der Apokalypse

■ Heute: »Apollonaris« — Die neue Dimension des Zeichentrickfilms

Entstanden ist Apollonaris nach Akira Otomas gleichnamigem Etikettenbestseller. Japan ist das Land mit dem größten Etikettenmarkt der Welt. Jährlich werden über 1,5 Billiarden Flaschen und Dosen verkauft. Immer wieder aufs neue verschlingen die Japaner die dazugehörigen Etiketten auf ihren langen U-Bahn-Fahrten. Denn Japaner weisen die höchste Lesegeschwindigkeit der Welt auf. Sie kommen auf fünf Etiketten pro Minute. Auf diesem hart umkämpften Markt konnte die Apollonaris-Etikette einen Spitzenplatz einnehmen. War der Erfolg als Film wiederholbar?

Apollonaris spielt im Jahr 2019, 31 Jahre nach dem dritten Quellkrieg, der alles vernichtet hat. Öde herrscht auf der Welt. Die Kamera zeigt eine blau-wässrige Flüssigkeit. Am Horizont erstreckt sich saftig dunkelgrüne Weite. Langsam kommt Bewegung ins Bild. Sanfte Wellenbewegungen werden von einem triumphalen Crescendo eines Megasynthesizers langsam aufgepeitscht. Ein rotes Etwas wird in der Tiefe des Wassers sichtbar, die aufwühlende Musik scheint es nach oben zu ziehen. Über die Kombination von Schnittfolgen, Ton, Musik und Farbstufungen wird suggestive Wirkung kalkuliert und gewonnen — orgiastisch durchbricht ein rotes Dreieck die Fluten. Apollonaris, das von Militärwissenschaftlern gehütete parakinetische Supergeheimnis ist außer Kontrolle geraten, die Büchse der Pandora wieder offen. So endet der Film, der mit einer Katastrophe begann, mit einer anderen.

Apollonaris ist ein Zwei-Minuten-Science-Ficton- Spektakel der Extraklasse, ein phänomenales Animationswerk, ja, man muß es noch drastischer sagen: ein Meilenstein in der Geschichte des Animationsfilmes. Wenn Zeichentrickfilme kolossal genannt werden können, dann gilt dies für Akira Otomos Apollonaris. Otomo verwendete 327 Farben und 1.600 Einzelbilder, die er auf 70 mm drehen ließ, um gestochen scharfe Aufnahmen zu erhalten (in Deutschland ist leider nur die 35-mm-Kopie zu sehen). Über zwei Drittel des Films spielen unter Wasser. Das ist ungewöhnlich für einen Zeichentrickfilm. Dazu der Schöpfer von Apollonaris: »Ich fühlte die Herausforderung, das größte Schauspiel, die großartigste Katharsis aller Zeiten zu schaffen.« Die postapokalyptische Stimmung von Apollonaris besitzt bereits alle Merkmale des Kultklassikers: explizit gewalttätig, futuristisch und unglaublich farbig.

Und dennoch hat die Sache einen Haken: Die Bilder sind grandios, die Dialoge dürftig. Hier liegt die Schwäche des Films. Recht betrachtet gibt es sogar nur einen einzigen Dialogsatz: »Apollonaris — aus dieser Quelle trinkt die Welt.« Zugegeben: ein düsterer Satz von kassandramäßiger Qualität, aber für einen Apokalypsefilm dieser Wucht etwas zu mager. Und noch ein Haken: Die Position des Regisseurs wird über seinen Film nicht deutlich. Sein Film wirkt wie fatalistisch vorgeführt. Er zeigt atemberaubende Bilder, aber keine Moral.

Apollonaris ist Befremden und Faszination in einem. Es ist der Beweis, daß sich mittels Trickfilm das Menetekel machen läßt. Abschließender Merksatz: Die Zukunft des Bilderromans liegt im Epos, nicht im Gag. Gunske

Apollonaris, Japan 1991, 128 Sekunden, Regie: Akira Otomo.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen