: Frauenfang im Büro
■ »Einmal hin — einmal her« einmal im fsk und einmal im Sputnik
Vera Chytilowa, zur Generation der 68-Filmemacher aus Prag gehörend, hat ihre Filme immer sehr turbulent erzählt. Ihre Kamera hat etwas Zudringliches, Gewaltsames: nicht kühles, distanziertes Auge, ist sie immer beteiligter Blick, eine Mitwirkende in dem wenig ätherischen Geschehen, notwendig parteiisch, starrt im Gegenteil auf das, was oft unter die Zensur des kalkulierten Blickes fällt. Personen stehen bei ihr selten zentriert in der Cadrage, eher sprengen sie den Rahmen, sind nur mit einem Teil der Körperteile im Bild, wirken daher zum Greifen nah.
Ihre Bilder sind plastisch, körperbezogen, häufig auch absichtlich unverschämt, ordinär. Aus ironisch bezogener männlicher Perspektive blickt die Kamera den Frauen zwischen die Beine, zeigt die zerrissenen Strumpfhosen oder den Schlüpferstreifen — Vera Chytilowa baut kein Objektiv vors Objekt.
In ihrem 1988 gedrehten Film Einmal hin — einmal her geht es denn auch vorwiegend um die Anmache von Frauen. Die drei männlichen Protagonisten, mit teils »ordentlichen« Persönlichkeitsaspekten wie einem Veterinärmedizinerberuf, bestehen vorwiegend aus liederlichen Anteilen, Schauspielerleidenschaften. Leichtsinn, Frauenbesessenheit. Neben der Tatsache, daß sie eine gemeinsame Theaterleidenschaft verbindet, benutzen sie auch die Grauzonen des realsozialistischen Alltags als Orte für komische Einlagen, drehen sie Arbeitssituationen zu Grotesken ab. Sie fangen Frauen in Labors, Büros und beim Skifahren, sind dauernd in Liebeshändel involviert: mit der Sekretärin auf den Parteifahnen, der Skihäsin mitten im Abfahrtslauf, der Laborassistentin bei der Blutuntersuchung, einer französischen Schauspielerin vor einem sie darstellenden Filmplakat. Und sie spielen auch das Spiel des Einen-Platz-Weiterrückens: irgendwann haben es alle mit der Sekretärin gehabt. Eigentlich ist alles vor allem ein Karussell, heiter mit kleinen Krisen, bis schließlich einer von ihnen Hepatitis bekommt und bei einer allgemeinen Blutabnahme festgestellt wird, daß eine/r aus der Gruppe HIV-positiv ist.
Da bekommt die Satire der Chytilowa unversehens einen dramatischen Zug. Die Gruppe stiebt nach allen Seiten auseinander. Der Zuschauer ist verunsichert: die Aktualisierung wirkt aufgepfropft, dem Ganzen aus Publicity-Gründen drangehängt.
Chytilowas Film lebt von seiner unbeschwerten, barocken Erzählweise, sowohl in den Slapstickmomenten, wenn sich plötzlich eine amerikanische Fahne in eine Parteiversammlung verirrt oder einer der drei Narren nackt durch Hotelflure rennt. Da geht es gelegentlich haarscharf entlang am Kitsch wie in diesem von den Protagonisten entwickelten und aufgeführten Theaterstück, in dem der Kampf zwischen weißen und roten Blutkörperchen Thema ist. Turbulent ist der Film auch formal, mit seinen aus permanenter Schräglage der Kamera aufgenommenen Bildern, seinen sprunghaften Anschlüssen, dem Überwechseln von einer Person zur anderen durch Videoeinschübe, wobei der Film im Film eine gerade geschehene Bewegung aufgreift, abdreht, verfremdet, karikiert. Chytilowa zitiert ihren eigenen Film Wolfsbaude, zeigt Karel Gott, stellt diverse zeitkritische Bezüge her. Aber immer ironisiert sie nebenbei, leichtherzig, ist schon wieder woanders, so daß das Ende ungewollt schwerfällig und zur Form nicht passend erscheint.
Von Vera Chytilowa wird es eine ganze Reihe von Filmen im fsk-Kino zu sehen geben, höchste Zeit, daß sie endlich jedermann und jeder Frau mit ihren Kamerawirbeln den Kopf verdreht. Michaela Ott
Einmal hin — einmal her, ab heute im fsk und Sputnik.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen