: Keine Kohle für die Kohle
Wirtschaftsminister Möllemann will drastischen Subventionsabbau bei westdeutscher Steinkohle/ Weitere Zechenstillegungen so gut wie sicher/ Auch CDU in der Kritikerfront ■ Von Walter Jakobs
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Horst Niggemeier, Bürgermeister im Steinkohlerevier des nördlichen Ruhrgebiets, nannte ihn den „Bestattungsunternehmer für die heimische Steinkohle“. Das ficht Bundeswirtschaftsminister Jürgen Möllemann ebensowenig an wie die Niggemeier- Schelte, der liberale Minister werde mit „dem von ihm angekündigten Bruch des Jahrhundertvertrages auch ein Fall für den Justizminister“. Schon wichtiger muß Möllemann die Kritik vom wirtschaftspolitischen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Matthias Wissmann, nehmen, der den umtriebigen Haussmann-Nachfolger eines „energiepolitischen Zickzackkurses“ zieh. Auch die Reaktion des Vorsitzenden der Industrie-Gewerkschaft Bergbau und Energie (IGBE), Hans Berger, hat Gewicht. Gegen „Möllemanns Kahlschlagpolitik“ kündigte der IGBE- Chef „Demonstrationen und Kundgebungen an“, will die Gewerkschaft, in der 92,9 Prozent der im Steinkohlebergbau Beschäftigten Mitglied sind, „den Protest organisieren“.
Für die IGBE, die den sozial abgefederten, vertraglich geregelten Schrumpfungskurs bisher immer mitgetragen hat, sind das neue Töne. Der Steinkohlebergbau an Ruhr und Saar, der 1959 noch 505.000 Menschen Arbeit und Brot bot, beschäftigt heute gerade noch 130.000 Bergleute, die im letzten Jahr 71 Millionen Tonnen Steinkohleeinheiten (SKE) aus der Erde buddelten. Verkauft werden kann diese Kohle nur mit Hilfe von satten Subventionen, die dem Bergbau im sogenannten „Hüttenvertrag“ und im „Jahrhundertvertrag“ vertraglich zugesichert wurden. Im Hüttenvertrag haben sich der Bund und die Kohleländer verpflichtet, den Stahlunternehmen bei Abnahme der teuren deutsche Kohle den Preisunterschied zur billigeren Importkohle zu erstatten. Mit dem 1980 für 15 Jahre abgeschlossenen Jahrhundertvertrag wird die Verstromung der Steinkohle von über 40 Millionen Tonnen SKE pro Jahr garantiert. Zur Kasse gebeten werden hier die Stromkunden über den sogenannten Kohlepfennig. Allein im letzten Jahr brachten die Stromverbraucher etwa fünf Milliarden Mark auf. Aus dem Bundeshaushalt kamen zur Alimentierung der Kohle 3,5 Milliarden DM, und die beiden Kohleländer NRW und Saarland steuerten noch einmal 1,5 Milliarden DM hinzu. Insgesamt also zehn Milliarden Mark, eine Summe, die nicht nur Möllemann, sondern auch die von der Bundesregierung einberufene „Mikat-Kommission“ für unhaltbar hoch hält. Die Mikat- Kommission, genannt nach dem Vorsitzenden Paul Mikat (CDU), hatte den Auftrag, eine konsensfähige Anschlußregelung für die Verstromung nach 1995 zu entwickeln. Doch statt eines einvernehmlichen Gutachtens legte die zehnköpfige Kommission, der der frühere SPD- Finanzminister Hans Matthöfer und der ehemalige IGBE-Vorsitzende Adolf Schmidt ebenso angehört wie der RWE-Chef Friedhelm Gieske, zwei Voten vor. Beide gehen davon aus, daß die bis 1995 verabredete Reduzierung der Fördermenge auf 65 Millionen Jahrestonnen SKE künftig nicht zu halten ist. Während die Mehrheit die weitere Reduzierung bis zum Jahr 2005 auf 55 Millionen Tonnen SKE vorschlägt, fordert die Minderheit eine radikale Schrumpfung auf 35 Millionen Jahrestonnen. Von der jetzt noch geförderten Menge und den 130.000 Jobs bliebe dann nicht einmal die Hälfte übrig.
Ein Ende des hohen Subventionsbedarfs ist zur Zeit nicht in Sicht. Der gegenwärtige Preis für eine Tonne Importkohle liegt bei 100 Mark. Die Förderkosten für die Tonne Steinkohle belaufen sich in der Bundesrebublik wegen der geologisch ungünstigen Lage der Kohlefelder auf etwa 260 Mark. Diese gewaltige Preisdifferenz hängt unmittelbar am Ölpreis und am Dollarkurs. Ein explodierender Ölpreis führt sofort zu einem drastischen Anstieg des internationalen Kohlepreises, wie etwa im Frühjahr 1985, als die deutschen Förderkosten plötzlich wesentlich unter dem Weltmarktpreis lagen. Solche für den Steinkohlebergbau rosigen Zeiten sind indes nicht absehbar.
Erfolgloses Optimierungsmodell
Der deutsche Steinkohlebergbau selbst hat Anfang April ein Optimierungsmodell vorgelegt, daß die jetzigen Förderkosten um lediglich 24 Mark auf dann noch 236 je Tonne reduzieren könnte. Nach diesem Modell blieben von der heutigen Fördermenge im Jahre 2005 noch 58,7 Millionen Tonnen SKE übrig. Die Zahl der Beschäftigten müßte um gut 30.000 auf knapp unter 100.000 schrumpfen. Arbeitsplatzverluste in dieser Größenordnung wäre die IGBE bereit mitzutragen, doch das reicht weder Möllemann noch der EG-Kommission. Die Brüsseler Kommissare wollen die Verstromungsmenge schon 1993 auf 36 Millionen Jahrestonnen verringern. EG- Energiekommissar Antonio Cardoso e Cunha fordert im Verein mit seinen Kollegen ein energiepolitisches Konzept von den Deutschen: „Es ist allerhöchste Zeit... Die Mengen und Subventionssummen müssen verringert werden.“
Arbeitsplatzverlust in Ost und West
Möllemann begründet seinen aktuellen Vorstoß mit der deutsch-deutschen Entwicklung. Arbeitsplatzverluste im Bergbau werde es in Ost und West geben. Dabei, so der Minister wörtlich, „können wir nicht auf Dauer unterschiedliche Vorgehensweisen hüben und drüben rechtfertigen. Das bedeutet, daß die simple Aussage, es gibt keine Entlassungen, nicht mehr gilt.“ Bis zur Jahreswende wurde die Belegschaft der Braunkohlefördergesellschaften der Ex-DDR schon um 30.000 auf jetzt noch 80.000 reduziert. Die ehemals 330 Millionen Jahrestonnen umfassende Förderung soll schon bis Ende 1991 auf etwa 200 Millionen Jahrestonnen reduziert werden. Langfristig ist von einer Förderung von 130 Millionen Jahrestonnen die Rede. Legt man den westlichen Produktivitätsmaßstab an — bei der westdeutschen Rheinbraun fördern 15.000 Menschen 120 Millionen Jahrestonnen ohne jegliche Subventionen —, dann wird die bedrohliche Lage für die ostdeutschen Bergleute klar.
Politik entscheidet über Kohle
Was von der westdeutschen Steinkohle bleibt, wird ausschließlich politisch entschieden. Ohne Mitwirkung der Bundesregierung und der Energieversorgungsunternehmen (EVU) kann der Bergbau nicht überleben. Eine prekäre Lage, die die Atomlobby in den EVUs schon beim Abschluß des Jahrhundertvertrages in ihrem Sinne zu nutzen verstand. Im §8 der Ergänzungsvereinbarung zum Jahrhundertvertrag heißt es: „EVU und Bergbauunternehmen sind sich darüber einig, daß der wachsende Energiebedarf in Zukunft nur gedeckt werden kann, wenn sowohl Kohle als auch Kernenergie in zunehmendem Maße zum Einsatz kommen. Sie werden daher insbesondere in ihrer Öffentlichkeitsarbeit alles unterlassen, was die Erreichung dieses Zieles beeinträchtigt.“ Entsprechend dieser vertraglichen Vereinbarung agierten nicht nur die Bergbauunternehmen, sondern auch die IGBE, die Anfang der 80er unter dem Motto „Kohle plus Kernkraft“ eine offensive Lobbypolitik innerhalb der Gewerkschaften für die Atomenergie betrieb. Erst der Nürnberger Ausstiegsbeschluß der SPD beendete diesen Kurs. Seitdem wird nicht mehr offensiv, sondern nur noch verschämt und mit einem schlechten Gewissen für den „Energiekonsens Kohle und Kernenergie“ geworben. IGBE-Chef hat das Dilemma auf dem IGBE-Kongreß in der vergangenen Woche überraschend offen angesprochen. Daß heute überhaupt deutsche Steinkohle verstromt werde, sei „nur dem Jahrhundertvertrag zu verdanken“. Der Vertrag sei aber nur möglich geworden, „weil man damals einen Konsens fand“. Wenn die IGBE nichts tue, „den Faden weiterzuspinnen... fahren wir in den Abgrund. Unsere sozialdemokratischen Freunde haben nicht die Macht, das zu ändern.“ In der Energiewirtschaft säßen eben Leute, „die sagen: Kohle ja, aber mit Kernenergie“. Berger wies die Kongreßteilnehmer darauf hin, daß der Mikat-Bericht auf einen „Energiemix von Kohle und Kernenergie“ aufbaue. Die Sozialdemokraten in der Kommission hätten „mit gutem Grund kein Minderheitenvotum gegen die Kernenergie abgegeben, weil es dann „überhaupt keine Mehrheit für Kohle gegeben hätte, selbst nicht für die Mindestmenge von 35 Millionen Jahrestonnen“. Eine Verlängerung der Absatzgarantien, das hätten die Gesprächspartner der Energiewirtschaft der IGBE deutlich gemacht, gäbe es „nur dann, wenn es wieder einen Konsens gibt, der alle Punkte zum Inhalt hat und nicht nur das, was euch lieb ist“. Eine Chance für die Kohle sieht Berger, der für die SPD im Bundestag sitzt, nur dann, wenn der Energiewirtschaft garantiert wird, daß auslaufende Atomkraftwerke „durch neue ersetzt werden dürfen“. Ein Position, die der der Sozialdemokratie diametral entgegensteht. Der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Günther Einert (SPD) wies entsprechende Forderungen am Mittwoch rundweg zurück. Er verstehe die Begründungen des IGBE-Chefs nicht. Das ganze sei eine „sinnlose Debatte“. Auf die Frage, ob die Landesregierung einem Ersatzbau von Atomkraftwerken zustimmen könnte, sagte Einert wörtlich: „Nein, dazu ist die Landesregierung nicht bereit.“
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