piwik no script img

Scharpings Brüderle heißt „Sicherheit“

■ In Rheinland-Pfalz sind die Grünen aus dem Koalitionsrennen/ SPD- Verhandlungskommission setzt auf die Freien Demokraten/ Grünen-Vorsitzende Bill: Wir sind gerne in der Opposition

Mainz (taz) — Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag von Rheinland-Pfalz, Gisela Bill, hat Probleme: „Ich weiß nicht mehr, was ich anziehen soll, denn während der sechs Verhandlungswochen mit der SPD bin ich nicht zum Wäschewaschen gekommen.“ Das jedenfalls erklärte die Spitzenpolitikerin der Grünen gestern augenzwinkernd vor der Landespressekonferenz in Mainz, nachdem am Vormittag im Landtag das letzte von insgesamt zwölf Konsultationsgesprächen mit den sozialdemokratischen Wahlsiegern um Rudolf Scharping beendet worden war. Daß die Grünen auch im neuen Landtag aller Voraussicht nach wieder die Oppositionsbänke drücken müssen, bereitet der Grünen dagegen offenbar weniger Probleme: „Wir werden auch die Oppositionsrolle gerne ausfüllen. Wir haben allerdings in den letzten Wochen mit großer Ernsthaftigkeit und zielgerichtet unseren Beitrag zum Zustandekommen einer rot-grünen Regierungskoalition geleistet.“ Es sei nun an Scharping, eine Koalitionsentscheidung zu treffen — „entweder für eine umfassende Erneuerung der Landespolitik mit uns oder für Herrn Brüderle von der FDP.“

Daß Scharping sich für eine Koalition mit dem noch amtierenden Wirtschaftsminister Brüderle der abgewählten CDU/FDP-Landesregierung entscheiden wird, pfiffen gestern im Landtag die berühmten Spatzen von den Dächern. Der von den Grünen als „Straßenbauminister“ apostrophierte Brüderle, den Gisela Bill „noch nicht einmal mit der Kneifzange anfassen“ würde, ist für Scharping offenbar der Garant für ruhiges Regierungsfahrwasser für die fünf Jahre dauernde kommende Legislaturperiode. Der vor der Landtagswahl in Treue fest zur CDU stehende Brüderle hatte kurz nach der Wahl seine Bereitschaft zu Koalitionsverhandlungen mit den Sozialdemokraten mit dem Hinweis auf das „drohende rot-grüne Chaos“, vor dem nur die FDP das Land bewahren könne, begründet. Daß sich Scharping trotz breitester Übereinstimmung zwischen Grünen und SPD in der Landespolitik voraussichtlich für die FDP entscheiden werde, liege nur daran, daß Scharping auf die vermeintliche Sicherheit setze — und dabei „unsere Lebendigkeit mit Unzuverlässigkeit verwechselt“.

Daß Scharping sich offenbar von den Kassandra-Rufen Brüderles hat beeindrucken lassen, ist für die Mitglieder der Verhandlungsdelegation der Grünen deshalb auch aus bundespolitischer Sicht „die größte Enttäuschung“: „Wir waren für die SPD offenbar nur Manövriermasse und haben denen die inhaltlichen Steilvorlagen für die Verhandlungen mit der FDP geliefert.“ Dennoch erklärte Gisela Bill am Rande der Pressekonferenz, daß die Grünen die „Koalitionskiste“ noch nicht zumachen würden. An der Basis der SPD rege sich schon heftiger Widerstand gegen den „Brüderle-Kurs“ von Scharping. Und mit wem die SPD letztendlich koaliere, entscheide schließlich ein Landesparteitag der Sozialdemokraten. Dabei hat die „Berufsoptimistin“ Bill den Mann noch nicht einmal gesehen, der am frühen Nachmittag klammheimlich und ohne Bodyguards die Haustür zum SPD- Fraktionsgebäude passierte — und dabei für das Mitglied seiner „eigenen“ Landespressekonferenz nur ein verlegenes flüchtiges Winken übrig hatte: Der Chef der rot-grünen Landesregierung im Nachbarland Hessen, Hans Eichel (SPD), war auf dem Sprung zum Gespräch mit seinem „Enkel“-Kollegen Rudolf Scharping. kpk

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen