: Alles nur aus Trotz!
■ Das Forschungszentrum für Populäre Musik an der Humboldt-Universität im schweren achten Jahr
Im Jahr 1970 kommt ein junger Mann zum Studium der Musikwissenschaft an die Humboldt- Universität nach Berlin. Und findet das, was da so betrieben wird, reichlich absurd. Aus purem trotz beginnt er, sich mit populärer Musik zu beschäftigen: »Das war so ungefähr die höchste Form der Provokation, die in diesem konservativen Umfeld denkbar war.« Als dann der Parteiapparat beschließt, das Massenkultur überhaupt und populäre Musik in besonderer Weise ein wichtiges Thema zu sein hat, besinnt man sich seiner. Der könnte doch, der weiß doch. Er kann und weiß. Eine ideale Konstellation, wenn, ja wenn unser Mann doch endlich in den Schoß der Partei der Arbeiterklasse finden würde. Doch der will und will kein Kader werden. Und hat inzwischen eigene Vorstellungen, wie eine wissenschaftliche Beschäftigung mit einem solchen Gegenstand auszusehen hat. Sie sagen: Komm in unsere Geheimlabors und du wirst alles finden, was du brauchst. Er sagt: Wenn ihr wollt, daß geforscht wird, dann gebt mir alles, was ich brauche. »Jeder ist ersetzbar«, sagt die Partei in solchen Fällen für gewöhnlich. Doch im Falle dieses Mannes liegen die Dinge anders. Das Wunder geschieht, zähneknirschend geben die Parteiarbeiter nach.
1983 wird eine neue Tafel an den Dachgeschoßräumen im Haus der Musikwissenschaftler angebracht: »Forschungszentrum Populäre Musik«. Der Mann heißt Peter Wicke und weiß natürlich, daß er niemals die faustischen Worte zum Augenblick sagen darf: »Nur strikter Gegenstandsbezug und intensive Arbeit hat das Forschungszentrum vor seiner immer wieder einmal drohenden Auflösung bewahrt.« Zu diesem Gegenstandsbezug gehörte von Beginn an, massenkulturelle Prozesse als globale zu begreifen — »alles andere wäre schrecklich provinziell gewesen«. Das sehen auch die Genossen ein, der parteilose Experte wird zum Reisekader gestempelt. Doch statt nun endlich zufrieden im Stones-Konzert an der Coke zu nippeln, sorgt er dafür, daß WissenschaftlerInnen aus dem Westen als GastdozentInnen oder zum Studienaufenthalt nach Ost-Berlin kommen. Auch in diesem Falle wollen die Bewußtseins-Kontrolleure erst einmal überlistet sein. Dem Wort, gesprochen oder geschrieben, gilt ihre ganze Aufmerksamkeit. Als Nationalisten reinsten Wassers aber horchen sie nur auf, wenn es ihrer Vatersprache entstammt. Ausländisch interessiert sie nicht. Und damit auch nicht die Vorlesungen, die von den Gästen am Forschungszentrum in englischer Sprache gehalten werden — ob nun vom walisischen Trotzkisten oder vom erzkonservativen Südstaatler.
Doch ein mehr an internationalem Austausch duldet die geschlossene Gesellschaft nicht. Nur Wicke darf frei konvertieren, sonst niemand der acht bis zehn, die am »Popzentrum« an Diplom- oder Doktorarbeiten sitzen. Als Entschuldigung immer wieder: Devisenknappheit. Gemessen an der Situation in den osteuropäischen Bruderländern allerdings arbeiten sie unter geradezu paradiesischen Bedingungen. Weil dort noch viel länger nicht sein kann, was nicht sein darf — Rockmusik zum Beispiel —, haben es die ForscherkollegInnen ungleich schwerer. Wenn offiziell über Massenkultur gearbeitet wird, dann meist noch unter der Voraussetzung, daß sie eine verdammenswerte Folgeerscheinung des verdammten imperialistischen Systems sei, man ihr das Schöne und Wahre echter Kunst entgegenzuhalten habe. In dieser Situation trugen die alle zwei Jahre vom Forschungszentrum ausgerichteten »Theoretischen Seminare«, zu denen AndersdenkerInnen aus allen osteuropäischen Staaten kommen konnten, den Charakter von Geheimlogentreffs. Hier galten die Tabus nicht, hier erfuhr der Mann aus Prag von der Frau aus Sofia etwas über Rockmusik in Bulgarien, die sich ihrerseits über die Situation in Polen informieren ließ. Wicke erläuterte die Forschungsansätze amerikanischer und englischer Prägung. Sicher, es war nur ein kleiner Kreis, der hier zusammenkam. Doch statt der Bruderkuß-Rituale, auch im Wissenschaftsbetrieb bei Großveranstaltungen durchaus üblich, ging es ans Eingemachte. Es war alles andere als ein Zufall, daß Wicke von einer »Internationalen Konferenz zur Popmusikforschung«, die 1985 in Montreal über die Bühne ging, mit der Idee zu einer längerfristigen Kooperationsvereinbarung zwischen dem »Centre for Research on Culture and Society« an der Carleton University Ottawa und dem Forschungszentrum zurückkehrte. Nach dem Überwinden der bürokratischen Hürden trat diese 1987 in Kraft — übrigens als erste nichtkommerzielle Übereinkunft zwischen Kanada und der DDR. Auf kanadischer Seite war es John Shepherd, Professor an ebenjenem Bereich in Ottawa, der die Steine ins Rollen brachte. Shepherd, der zur Zeit für ein Semester am Forschungszentrum weilt, nennt die Gründe für seine Partnerwahl: die Qualität der Arbeit und die weitreichenden Beziehungen nach Osteuropa. Aus kanadischer Sicht, so Shepherd, sei diese Kooperationsvereinbarung schon jetzt ein großer Erfolg. Das beträfe sowohl den personellen Austausch als auch die Ergebnisformen, sprich wissenschaftliche Arbeiten und Publikationen. Er hoffe nun, daß im Zuge der Veränderungen endlich auch andere DDR-Ohren als die von Peter Wicke in Ottawa auftauchen. Ein Wunsch, der nur in Erfüllung gehen kann, wenn das Forschungszentrum weiterhin existiert. Denn die von der konservativen Lobby der westdeutschen Musikwissenschaft dominierte »Personal- und Strukturkommission« hat, so Wicke, »eine Situation entstehen lassen, die auf unsere Abschaffung hinausläuft. Doch da wir schon immer mit diesem Problem zu tun hatten, schockiert uns das nicht. Wir nehmen es zur Kenntnis.« Daß bei den letztendlich für eine solche Entscheidung zuständigen Stellen »wenigstens Klarheit herrscht, was denn da abgeschafft werden soll«, sei allerdings ein »Gebot der Fairneß«. Einrichtungen wie diese, »die immer mehr oder weniger clever gegen den Strom schwammen, die keinen aufgeblähten Apparat hatten, sind jetzt der Gefahr ausgesetzt, in den anstehenden Strukturwandlungen einfach nicht mehr sichtbar zu sein. Weil niemand weiß, daß es sie gibt, und worin der Sinn des Unternehmens liegt.«
Jeder ist ersetzbar, hieß es einst. Uwe Baumgartner
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