: SCHIENENZEPP UND FLIEGENDER HAMBURGER
■ Vor 60 Jahren: In eienr Stunde und 38 Minuten mit dem Zug von Hamburg nach Berlin
VON JOSE FLUCKE
Wenn am 2. Juni 1991 die 25 schnellen ICE-Züge der Bundesbahn im Intercity-Verkehr auf die Strecken gehen, gilt die Erinnerung auch jenem Mann, der mit seiner Konstruktion bereits in den 30er Jahren Tempo 230 auf der Schiene erreichte: Professor Franz Kruckenberg. Am 10. Mai 1931, vor 60 Jahren also, machte er mit seinem Schienenzeppelin zwischen Hannover und Lehrte erste Versuchsfahrten, bei denen die Tachonadel schon auf 205 Stundenkilometer schnellte. Der silberfarbene „Propellerwagen“, wie Kruckenberg ihn nannte, bewies seine Tauglichkeit endgültig am 21. Juni auf einer Testfahrt von Hamburg-Bergedorf nach Berlin-Spandau. In einer Stunde und 38 Minuten legte er die 287 Kilometer lange Strecke zurück. Das war damals Rekord.
Ein 500-PS-Flugmotor mit einem Propeller am Heck sorgte für das hohe Tempo des stromlinienförmigen, in Leichtbauweise konstruierten Fahrzeugs. Der zweiachsige Wagen mit Platz für 32 Fahrgäste war mit 18,5 Tonnen nur halb so schwer wie eine D-Zug-Lokomotive.
Der 1882 unweit von Hamburg in der schleswig-holsteinischen Kleinstadt Uetersen geborene Ingenieur Kruckenberg war vom Luftschiffbau gekommen. Zusammen mit den Konstrukteuren Kurt Stedefeld und Willi Black entwarf er zunächst eine propellergetriebene Hängeschnellbahn ähnlich der Schwebebahn in Wuppertal. Er fand dafür jedoch keine Geldgeber. Kurz entschlossen verlegte er das Fahrzeug auf die konventionellen Schienen. Während die Industrie das Projekt unterstützte, stand ihm die Eisenbahnverwaltung von Anfang an eher skeptisch gegenüber. Die Reichsbahn hatte vor allem Bedenken wegen des fehlenden Sicherheitssystems. Kruckenberg durfte seinen Triebwagen nur auf Nebenstrecken erproben. Erst als er bei Lloyds in London eine Versicherung gefunden hatte, die das Risiko seines neuartigen Fahrzeugs abdeckte, ließ die Bahn eine Fahrt von Hamburg nach Berlin zu.
Zur Sicherheit wurden eine halbe Stunde vor Abfahrt des Schienenzepps in Hamburg-Bergedorf alle Schranken auf der Strecke bis Berlin geschlossen. Zwischen Karstädt und Wittenberge konnte das Fahrzeug seine volle Leistung entwickeln und erreichte mit einer Geschwindigkeit von über 230 Stundenkilometern die Rekordmarke.
Die Befürchtungen einiger Sicherheitsexperten, der Propeller am Heck würde während der Fahrt den Gleisschotter aufwirbeln, erwies sich als unbegründet. Kruckenberg hatte an verschiedenen Stellen Zeitungspapier im Gleis ausgelegt. Der Schnelltriebwagen fuhr darüber hinweg, ohne daß sich ein Blatt bewegte, während der nachfolgende Güterzug die Zeitungen ducheinanderwirbelte. Trotz aller guten Eigenschaften wurde der Schienenzeppelin für einen regelmäßigen Verkehr nicht zugelassen. Die Eisenbahner lehnten den Propellerzug als „artfremdes Ungetüm“ ab.
Die Reichsbahn setzte statt dessen auf Dieselbetrieb und machte den „Fliegenden Hamburger“ 1933 zu einem Welterfolg. In 142 Minuten, eine dreiviertel Stunde mehr als Kruckenbergs Propeller-Fahrzeug, brachte der „Fliegende Hamburger“ seine Fahrgäste von Berlin nach Hamburg. Der aus zwei Wagen bestehende Dieseltriebzug schaffte mit seinen beiden Maybach-Motoren von je 410 Pferdestärken eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 160 Kilometern. Die rund 100 Sitzplätze der Schnellverbindung zwischen der damaligen Reichshauptstadt und der Elbmetropole waren meist wochenlang im voraus gebucht.
Der erste Zug auf der damals neueröffneten Bahnlinie brauchte 1846 für diese Strecke noch neun Stunden und 15 Minuten. 45 Jahre später, 1890, war die Fahrzeit schon auf drei Stunden und 39 Minuten geschrumpft, die gleiche Zeit, die der Intercity „Max Liebermann“ auch heute zwischen Hamburg und Berlin immer noch braucht. Erst von 1997 an sollen die Gleise auf dieser einstigen Paradestrecke der deutschen Eisenbahn für Tempo 200 ausgebaut sein und die IC-Züge in weniger als zwei Stunden ihr Ziel erreichen.
Mit dem „Fliegenden Hamburger“ begründete die Deutsche Reichsbahn einen Vorläufer des heutigen Intercity-Netzes im Stundentakt. Bis Kriegsbeginn war es möglich, im Städteschnellverkehr von Berlin aus alle wichtigen Orte wie Königsberg, Dresden, Köln, Frankfurt und Stuttgart innerhalb eines Tages zu erreichen und wieder zurückzukehren.dpa
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