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Marxisten-Leninisten ohne Arbeiterklasse

Mao, Ho und Kim — „leuchtende Vorbilder“ der Kommunisten im Königreich Nepal/ Unzufriedenheit mit Kongreßpartei in Katmandu und dankbare Erinnerung an die Jahre des Widerstandes in den Provinzen führten zu Wahlerfolg der UML  ■ Aus Katmandu Tom Trekker

Im Parteibüro der Vereinten Marxisten-Leninisten in Bhadrapur, 350 Kilometer von Nepals Hauptstadt Katmandu entfernt, hängen wie Heiligenbildchen auf rotem Grund die Portraits kommunistischer Großkopfeten an der kärglich verputzten Wand: Marx, Engels, Lenin — und Stalin. Zusätzlich prangt darunter noch eine Karte von Groß-Nepal in den Grenzen von 1814, von Pakistan bis Bhutan. Jahrzehnte, gar Jahrhunderte scheinen an Nepals Kommunisten, die bei den Parlamentswahlen vom vergangenen Sonntag der führenden Kongreßpartei bedrohlich nahe kamen, spurlos vorüber gegangen zu sein. Glasnost und Perestroika sind offenbar nicht bis zu den nationalistischen Stalin-Verehrern von Bhadrapur, der Hauptstadt des im Südostzipfel Nepals gelegenen Distrikts Jhapa, vorgedrungen.

Die alten Ideale kamen dennoch an: Alle sechs Mandate aus Jhapa fielen an die Kommunistische Partei Nepals/Vereinte Marxisten-Leninisten (CPN-UML), in Katmandu waren es vier von fünf Wahlkreisen. Selbst der Präsident des Erzfeindes, der Kongreßpartei, Krishna Prasad Bhattarai, wurde geschlagen, trat als Ministerpräsident zurück und will sich nach dieser Schmach seinem spirituellen Leben widmen.

Am Himalaya sind Kommunisten auf dem Vormarsch, wo fast sonst überall allein dieser Begriff anrüchig geworden ist. In Katmandu und den Provinzen feierten diese Woche Hunderttausende junger Nepalesen, überwiegend Männer, unter der roten Fahne mit Hammer und Sichel die Erfolge ihrer Kandidaten bei der Wahl vom Sonntag. Die UML und verschiedene Splittergruppen errangen zusammen rund 80 von 205 Sitzen für das Repräsentantenhaus. Zwar sah es am Freitag nach einer Mehrheit für die Kongreßpartei aus. Aber wohl kaum sonst wo dürften Linke mit der Vorgabe „Kommunismus“ bei einer freien und geheimen Wahl, wie sie eine internationale Beobachtergruppe dem erst vor einem Jahr zur Demokratie zurückgekehrten Königreich attestierte, soviel Stimmen bekommen.

In der Hauptstadt dürften die Kommunisten von der Unzufriedenheit mit der Kongreßpartei profitiert haben. Zwar stehen beide Parteien seit der Revolution vom April 1990 gemeinsam in der Übergangsregierung. Doch wurden Versorgungsengpässe und Preissteigerungen dem Kongreß angelastet. Zudem machte sich Kongreß-Führer Ganesh Man Singh dadurch unbeliebt, daß er seine Frau und seinen Sohn ins Parlament drücken wollte — beide fielen bei den Wählern durch.

In Jhapa verfügen die Kommunisten dagegen über eine lange Tradition. Schon nach der ersten Revolution in Nepal 1951 etablierten Linke in der Südost-Ecke Nepals eine eigene Regierung, die von einer königstreuen Kongreß-Regierung niedergeschlagen wurde. Anfang der 70er Jahre zettelten die Mainali-Brüder dann jahrelange Bauernaufstände an. Radha Krishna Mainali, der ältere, wurde nach der blutigen Niederschlagung des Aufstandes für 14 Jahre ins Gefängnis gesteckt; der jüngere, C.P. genannt, konnte aus der Haft fliehen und hielt sich 20 Jahre versteckt. Die Wähler dankten ihnen nun mit überragenden Siegen.

Noch ganz nach alter Manier nennt das UML-Wahlprogramm Mao Zedong, Ho Chi Minh und den koreanischen Hardliner Kim Il Sung als leuchtende Vorbilder. Doch die Sinnkrise ist auch an Nepals Partei- Ideologen nicht vorüber gegangen: „Die Partei vertritt das Proletariat und schützt die Interessen von Arbeitern, Bauern und nationalen Kapitalisten“, heißt es programmatisch im Wahlmanifest. Auch die UML hat erkannt, daß der Klassengegensatz von Arbeit und Kapital zurückstehen muß angesichts der desolaten wirtschaftlichen und katastrophalen ökologischen Lage im Lande: Mit einen Pro-Kopf-Einkommen von 170 Dollar pro Jahr zählt Nepal zu den zehn ärmsten Ländern der Erde, neun von zehn Nepalesen sind Bauern und Bäuerinnen und leben auf dem Lande. Mit dem Versprechen einer Landreform, der Verteilung von Staatsländereien an landlose Bauern haben die Kommunisten um Stimmen geworben. Von Verstaatlichung und Kolchosenwirtschaft, in der Terassenwirtschaft der Berge ein aussichtsloses Unterfangen, ist im UML-Wahlprogramm keine Rede.

Eine „Arbeiterklasse“ gibt es bei einer Industriebeschäftigung von kaum zwei Prozent genausowenig wie die Gefahr des ausländischen Monopolkapitals. Doch Ideologie hat zwei wichtige Funktionen für Nepals Kommunisten. Die UML braucht einen Namen für ihre Politikvorstellungen, die denen des Kongresses durchaus ähneln. Die sozialdemokratische bis liberale Kongreßpartei hat aber den Begriff Sozialismus bis hin zur Mitgliedschaft in der Sozialistischen Internationale schon für sich gepachtet. So müssen sich die linken Sozialisten als Kommunisten ausgeben. Zum anderen haben viele der Parteiführer Jahre im Gefängnis verbracht. Ohne ideologischen Halt hätten die meisten die Haft nicht überstanden.

Allerdings sind durch jahrzehntelange Basisarbeit im Untergrund die Parteikader, auch des Kongresses, so sehr gestählt worden, daß ihnen selbst die eigene Demokratiebewegung, die im April 1990 Hindu-König Birenda Bir Birkram Schah Dev seiner Allmacht beraubte, nichts anhaben konnte. Innerparteiliche Demokratie ist in Nepal nicht nur bei Kommunisten ein Fremdwort. Entscheidungen werden, wie zur Zeit des Parteienverbots bis vor einem Jahr, immer noch im kleinsten Kreis getroffen. So haben die Kongreß- Führer Bhattarai und Singh bereits einen neuen Regierungschef ausgeguckt, den einzigen aus ihrem Triumvirat, der bei der Wahl Erfolg hatte: Kongreß-Generalsekretär Girija Prasad Koirala, der jüngere Bruder des ersten demokratisch gewählten Ministerpräsidenten Nepals, B.P. Koirala, der 1960 vom Vater des jetzigen Königs gestürzt worden war. So kann der Kongreß, als habe es die drei Jahrzehnte des parteilosen Panchayat-Systems nicht gegeben, nahtlos an die Vergangenheit anknüpfen. Die Renaissance des Kommunismus wird wohl kaum vom Himalaya ausgehen. Vielmehr werden es die Genossen von UML und Splittergruppen in der Opposition schwer haben. Koirala gilt als Scharfmacher gegen die Linken.

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