piwik no script img

Häuptling ohne Stachel

■ Blutsbruder Sting im Oldenburger Wig-Wam mit gespaltenem Mikrophon

Sting, singender Retter der Tropenwaldes und Blutsbruder aller Amazonas-Indianer, hatte sein Tapi in Oldenburg aufgebaut, um gegen den kulturellen Kahlschlag an der Hunte zu Felde zu ziehen. Samstag abend lud er zum großen Pow-Wow in die Weser-Ems- Halle, aber keine Spur von kräftigen Trommeln und wilden Tänzen. Stattdesssen wurden die etwa 10.000 Besucher mit gähnender Langeweile gemartert.

Über Monate nichts eingefallen

Sting, was in der Indianersprache ungefähr bedeutet „Großer Häuptling ohne Stachel“, ist gegen sich selbst auf Kriegspfad. Über Monate sei ihm nichts eingefallen, gab der große Manitou bei Polydor bekannt, auch nicht, wenn er sich stundenlang ins Auto setzte und nur so durch die Gegend fuhr. Was macht man da? Eine neue Platte und eine Tournee.

Eine peinliche allerdings, in jeder Beziehung. Eine vierköpfige Band hat Sting auf die Bühne gestellt, die seine musikalischen Sentimentals mit den exhibitionistischen Texten aus der Privatsphäre des Sängers professionell herunterspult.

Selbstgefällig Leiden ausgeheult

Nie hat ein Unterhaltungsmusiker selbstgefälliger seine Leiden ausgeheult als Sting. Die einzelnen Stücke wurden wie Kaugummi gedehnt, Tränen, Trauer, Tod, für 50 Mark Eintritt, nur ab und zu knallte ein Solo wie eine Blase durch den schwermütigen Trott der Kapelle, dann schlaffte sie wieder ab und verlor sich im musikalischen Trauerspiel.

Die überwiegend biographischen Stücke seiner letzten Langspielplatte kleisterte Sting wie einen Courts-Mahler Lebenslauf hintereinander, Vater Proletarier, Mutter auch, beide tot, ein familiärer Goldrahmen in aufwendigem Licht: Doppelherz- Schmerz eines talentierten Sängers, der eine poetische Ader in sich entdeckt hat. Das ganze in fünf- bis sechsminütigen Dosen über zwei Stunden genossen, daß haut die stärkste Frohnatur auf die nächste Therapiecoach.

Zum Glück nur eine Zugabe

Dann plötzlich „purple haze“ von Jimmy Hendrix nach einer Stunde, wo man schon dachte, gut, vorbei der Spuk, jetzt geht es los, jetzt werden sie wach, aber dann war wieder alles Käse und die nächste Schnulze kündigte sich an, wieder wurde die „Geheimnisvolltaste“ am Keyboard strapaziert, wieder hauchte Sting das Kommen und Gehen irgendwelcher Schiffe in das Mikrophon, das man ihm anständigerweise nach dem Konzert mit einem Tomahawk aus Tropenholz hätte spalten sollen. Einziger Lichtblick: Sting spielte nur eine Zugabe und verabschiedete sich schnell von seinem Publikum: Wahrscheinlich konnte er die Rauchzeichen in der Halle richtig deuten. mad

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen