: Wer arbeitet, ist ein nützlicher Idiot
■ Leonce und Lena unter dem Schauspielhaus ins lachende Leben überführt / Büchner in der Theatergruft / Intelligenter Slapstick
Weit hinten rechts hinter dem Schauspielhaus führt eine dunkle Treppe tief hinunter in einen scheinbar nicht subventionierten Teil des Theaterreichs — den Brauhauskeller. Hinter einer Stahltür öffnet sich die Welt der Zerstreuung suchenden Königskinder Büchners, „Leonce und Lena“, gespielt vom Jugendclub des Bremer Theaters.
Im Jahre 1836, einer Zeit der sich restaurierenden Monarchien, entstand das Stück als Kritik der geistigen Verarmung des Feudalsystems und seiner Hofschranzen, verborgen unter dem Mantel eines Lustspiels, das die geistigen Werte seiner und unserer Zeit ad absurdum führt. Seitdem erschien es kometengleich in regelmäßigen Abständen wieder am Theaterhimmel. Diesmal leuchtete es besonders schön, während sich in der Welt über dem Theater eine andere gesellschaftliche Epoche restauriert — der Zeitbezug fehlt nicht.
Das Bühnenbild läßt nicht erraten, in welcher Zeit Hauke Thormählen die Königskinder spielen läßt.
Debiler König
Der debile König ist wie aus dem Bilderbuch, doch Prinz Leonce erscheint in Bermudas auf der Bühne und Lena trägt Petticoat, über den sie jedoch aus symbolischen Gründen häufig ein altes Gewand an und wieder auszieht.
Über allem glänzt der Hofmeister Valerio, der Prinz und Prinzessin zueinanderführt, Intrigen spinnt und dabei die Welt mit Spott und Hohn übergießt.
Auch das Publikum kriegt etwas ab
Auch das Publikum wird ein wenig naß dabei, denn wer arbeitet, ist ein nützlicher Idiot, wer sich Schwielen an die Hände schafft, gehört unter Kuratel gestellt, damit er im Schatten liege und Gott um Melonen, Makkaroni und Feigen bäte. Er hetzt gegen Goethes Naturverehrung, denn es wäre ja eine schöne Sache um die Natur, wenn es nur nicht so viele Schnaken gäbe. Er verspottet die Philosophen, da er nicht weiß, ob er ist, weil er nicht weiß, daß er es nicht weiß. Büchner gab dem Hofmeister die Rolle des Karrikaturisten der Zeit und ihres kleinen Geistes, mit Bravour gespielt von Kathrin Rüßmeyer.
Seit langer Zeit brach sich am Gemäuer des Bremer Theaters wieder lautes Gelächter des Publikums. Der Jugendclub-Produktion ist es gelungen, durch Ehrlichkeit im Spiel und Mut zum intelligenten Slapstick den inneren Humor eines Stückes zum Zuschauer zu transportieren.
Nase im Schoß wie in der Tulpe
Wenn Valerio von der Dame mit dem Lebkuchenherzen spricht und der Tulpe, worin die Nase langsam versinkt, und dabei seine Nase im Schoße des Gegenübers vergräbt, wenn Rosetta, die Geliebte aus Verlegenheit und Überdruß mit mondänem Sex-Appeal erscheint, dann geschieht auf der Bühne, worum es hinter den Metaphern so geht im deutschen Kulturgut — bis heute, auch unter modernen Königskindern, die nur im kargen und armseligen Keller des Theaters spielen durften. Mark Rothensee
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