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Fußball, Freude, Eierlikör

Die 8. Fußball-Europameisterschaft der Fanclubs endete mit einem 4:0-Endspielsieg der Mainburger 1860-Fans gegen die Skoda-Pilsen-Anhänger und der alkoholischen Trockenlegung einer Region  ■ Von Gerhard Sepp Fischer

Dachau-Ost (taz) — Im Biergarten der Gaststätte „Zum Römer“: Auf dem Grill rösten die Currywürste, an den Bänken wird international palavert — englisch, tschechisch, bayerisch und preußisch. Die Gäste: Hier junge, stoppelbärtige Rucksacktouristen, dort stämmige Mittdreißiger mit Fernfahrer-Schnauzbärten, die fast den Kehlkopf kitzeln. Die Themen: Das ehemalige Konzentrationslager Dachau — und die 8. Fußball-Fanclub-Europameisterschaft. Letztere wird auf dem Sportgelände des SSV Dachau-Ost ausgetragen. Das liegt nur einen strammen Fernschuß vom früheren Arbeits- und Vernichtungslager der Nazis entfernt.

Das Publikum im Biergarten mischt sich nicht, man bleibt unter sich. Die Themen kann man nicht immer trennen, nicht in dieser Stadt. Vor sechs Jahren, als die Fanclub-EM erstmals in Dachau stattfand, da wurde ein Fußballclub politisch. Ajax Amsterdam wies die Einladung empört zurück: „In eine Verbrecherstadt reisen wir nicht.“ Spalten statt versöhnen. Mainburg, 10.000-Einwohner-Stadt an der Grenze zwischen Ober- und Niederbayern — dort ist der Europameister 1991 beheimatet: der 1860 Fanclub. Im Endspiel des Dachauer Turniers siegte der Hopfen gegen das Bier (Skoda Pilsen) mit 4:0. Eine klare Sache.

Überhaupt der Alkohol: ähnlich dem Fußball verbindet er die Fans. In den drei Tagen, in denen die kickenden Fahnenschwenker und Trötendrücker in Dachau waren, wurde die Stadt fast trockengelegt. „Im Umkreis von zehn Kilometern gibt es keinen Bacardi mehr“, vermeldete Paul Herterich vom Veranstalter. Tante-Emma-Läden, Supermärkte und Tankstellen wurden leergekauft. Kein Wunder, daß einige Kicker mehr bacardiselig, denn ballhungrig über den Rasen stolperten. Aber die meisten tranken doch erst nach dem Spiel.

Nur drei der dreizehn teilnehmenden Mannschaften kamen nicht aus der Bundesrepublik: Ein Austria- Team vom Linzer ASK Fanclub Schwarz-Weiße Urfahraner, zwei CSFR-Anhängerschaften von Skoda Pilsen und Dukla Prag. War es deshalb mehr eine deutsche denn eine europäische Meisterschaft? Herbert Gertitschke, Vizepräsident des Organisators UEFAC (Union Europäischer Fußball-Anhänger-Clubs) verweist auf die Absagen: „Die Belgier und die Holländer sind kurzfristig ausgestiegen.“ Und die Schweizer? „Da hat leider keiner gemeldet.“ Und die Engländer? Mitleidiges Lächeln: „Das tun wir uns nicht an“, erklärt Gertitschke. Hooligans, nein danke.

Es lief auch alles prima: Keinerlei Schäden an Körper und Inventar, faire Gesten auf dem Rasen und feine Gastfreundschaft außerhalb. Den Tschechen, die auf dem harten und kalten Boden zelten wollten, verschaffte man ein warmes und gepolstertes Quartier in der Turnhalle. Sie haben es verdient. „Die haben halt kein Geld“, sagte Herterich, „aber die sind so anständig und bedanken sich für alles.“ Denen hilft man gerne. Schließlich sollen sich die Fan-Völker verständigen und allen Menschen auf dem Erdball beweisen, „daß es faire und friedliche Fußballfans in ganz Europa gibt“.

Kontaktfördernde Europameisterschaften gibt es seit 1975. Seither werden regelmäßig Titelkämpfe in der Halle und auf dem Rasen abgehalten. Die 1987 gegründete UEFAC, bei der 72 Fanclubs registriert sind, wacht darüber, daß keine Rabauken mitkicken. Nicht immer klappt es: Im letzten Jahr prügelten und provozierten zwei holländische Teams. „Einige Spieler haben auch die Hosen runtergelassen“, erinnert sich Gertitschke.

Die Sieger 1991 sind aus anderem Fan-Holz geschnitzt. Mainburgs Chef Konrad Kolmeder verrät, „daß wir meistens gar nicht in die Kurve gehen, sondern einen Sitzplatz kaufen“. Kreuzbrave Leute — und gute Fußballspieler. Angefeuert von einer Horde von Fan-Fans siegten sie gegen Pilsen, das mit einem „Skoda dottero!“ (Vorwärts!) angetrieben wurde. Etliche bekamen das Endspiel gar nicht mehr mit. Auf den Bänken vor dem Festzelt verbrüderten sich Bayern mit VfB-Schwaben, Waldhof-Buben mit Hertha-Preußen. Fußball, Freude, Eierlikör.

Nur wenige fielen aus dem Rahmen. Sie sangen: „Wir sind Deutsche und ihr nicht!“ Manche lernen es eben nie. Auch nicht in Dachau.

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