Ein »ganz normaler« Ausweisungsfall

■ Heute wird Urszula G. mit ihrem Sohn ausgewiesen/ Antrag auf einen Vertriebenenausweis wurde abgelehnt

Berlin. Spektakuläre Ausweisungen sind nicht die Regel — meistens geht es um Alltagsfälle, »ganz normal« und unspektakulär. Wie der Fall der vierzigjährigen Urszula G., die mit ihrem heute zehnjährigen Sohn Odysseus vor drei Jahren aus Polen nach Berlin kam, um einen Vertriebenenausweis zu beantragen. Daß sie Deutsche ist, erschien ihr nicht zweifelhaft — väterlicherseits stammt ihre Familie aus Deutschland, und immerhin haben Großvater und Vater im Ersten und Zweiten Weltkrieg auf deutscher Seite gekämpft.

Urszula G.s Antrag wurde bearbeitet, das Sozialamt besorgte ihr einen Platz in einem privaten Wohnheim, Odysseus kam in die Schule — und die Jahre gingen ins Land. Der Sohn ist mittlerweile in der dritten Klasse.

Im Herbst 1990 wurde Urszulas Antrag abgelehnt — für ihren Anwalt kein Grund zur Verwunderung: Die zuständige Behörde, das Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben, sei für ihre harte Linie längst bekannt. Im Dezember 1990 reichte der Anwalt beim Verwaltungsgericht Klage gegen den ablehnenden Bescheid ein — mit guten Aussichten auf Erfolg, wie er meint. Inzwischen jedoch wurde die Abteilung für Ausländerangelegenheiten beim Landeseinwohneramt aktiv. Der Ablehnungsbescheid war als Grund ausreichend, die Aufenthaltsgenehmigung nicht zu verlängern; Urszula und ihr Sohn wurden aufgefordert, innerhalb von vier Wochen die Bundesrepublik zu verlassen — und vor allem: jedem Widerspruch wurde die aufschiebende Wirkung versagt. Begründung: Es könne ihnen zugemutet werden, das Urteil des Verwaltungsgerichts in Polen abzuwarten. Letzte Versuche ihres Anwalts blieben erfolglos; Urszula G. wird vermutlich heute abgeschoben.

Ein unspektakulärer Fall. Die Ausweisung nach Polen bedeutet für Urszula G. keine Gefahr für Leib und Leben, sie ist kein politischer Fall, es gibt keinerlei Grund zur Empörung. Sie hat sich mit ihrem Sohn in Berlin eingelebt, jetzt wird sie wieder ausgelebt. Alles ist rechtens. Der Rechtsstaat räumt ihr die Möglichkeit der Klage ein. Das ist ein Recht. Daneben steht der Ordnungsstaat, greift in ein schwebendes Verfahren ein und schmeißt sie raus. Das ist eine Tatsache. mb