Kunst kommt auch von Können

■ Peter Zadek beging seinen 65. Geburtstag in Berlin

Sein erstes Theatererlebnis? Rosinchens Reise im Zirkus Schumann und die lebhaften Schilderungen seiner Eltern von Aufführungen, die er selbst zwar nie gesehen und doch viel genauer in Erinnerung behalten hat, als wenn sie auf Video gebannt worden wären. Seine früheste Erinnerung an Berlin? Die „Felsen“ am Rüdesheimer Platz und eine Nazikapelle, die durch die Offenbacher Straße marschierte. Die Mutter holt den applaudierenden Jungen vom Fenster weg. „Das ist schlechte Musik“, hat sie gemeint. „Das habe ich damals nicht verstanden und verstehe ich eigentlich immer noch nicht“, sagt Peter Zadek heute, „daß es gute und schlechte Musik geben soll. Die Musik ist immer dieselbe."

Der Jubilar trug ein weißes Hemd und einen roten Schlips zu seinem 65. Geburtstag, den er Pfingstsonntag als Gast in der Veranstaltungsreihe „Berliner Lektionen“ beging. Zwanzig Jahre habe er in Folge der Emigration nach England kein Deutsch mehr gesprochen, plötzlich sei die Rückerinnerung da gewesen. Peter Zadek baut auch heute noch klitzekleine Versprecher in seine Rede ein. Die Distanz zur Sprache ließ ihn wiederum — in der deutschen Übersetzung - einen Zugang zu den irischen Dramatikern und zu Shakespeare finden. Nur deutsche Stücke hat er nie verstanden. Das deutsche Theater habe eine Tendenz „weg vom Realismus“, sagt Zadek über seine Theaterarbeit, das sei die Auseinandersetzung seines Lebens geworden. „Natürlich bin ich von Künstlichkeit fasziniert, aber ich habe immer versucht, die Realität dort hineinzubekommen.“

Als er das erste Mal eine Brecht-Aufführung gesehen hat, ist das „wie eine Erleuchtung“ gewesen. „Die Helligkeit beeindruckte mich enorm.“ Nur inszenieren wollte Zadek Brecht nie. „Politische Analyse gehört nicht auf die Bühne“, meint er, „ich verberge gerne das Anliegen von Dingen.“ Zadek verbirgt aber keineswegs seine Meinung. Den Intendanten des Berliner Ensembles, Manfred Wekwerth, „einfach per Edikt zu entfernen“, hält er für katastrophal.

Die Intendanten der Berliner Theater in der Krise sollten sich zusammen an einen Tisch setzen und selbst über die Verteilung der Gelder entscheiden. Noch vor Jahren hatte Zadek gegen das subventionierte Theater gewettert, „das sehe ich heute anders“. Ist die Subvention erst einmal weg, kommt sie so schnell nicht wieder. Auch für die Freie Volksbühne, die auf der Abschußliste des Kultursenators steht, hat Zadek einen Vorschlag parat: ein Theater ohne festes Ensemble, das Regisseuren bereitsteht, um schnell mit Zeitstücken (wie einst mit Hochhuths Stellvertreter in der Ära Hübner) reagieren und en suite spielen zu können.

Es kann nicht schaden, meint der Theatermann, der selbst in dem Ruf steht, nicht ganz billig zu sein und zu arbeiten, Theater für weniger Geld zu machen. Zumindest das Bühnenbild von Peter Pabst für Zadeks Inszenierung des Ivanov von Tschechow, mit der er zum Theatertreffen eingeladen war, wird nicht viel gekostet haben („gute Schauspieler allerdings sind teuer“). Eine Reihe von Stühlen auf der Bühne, wo sich ein intensives Spiel mit leisesten Nuancen in der Charakterisierung der Personen entfalten konnte. „Kunst kommt nicht von Können“, hat Peter Zadek als Motto über sein jüngst erschienenes Buch Das wilde Ufer geschrieben. Solange es Peter Zadek ist, der inszeniert, läßt sich mit Sicherheit sein Vorschlag realisieren, keine Eintrittskarte in Berlin dürfe mehr als zwanzig Mark kosten — die Theater wären voll. Denn Kunst kommt auch von Können, das hat er selbst gesagt. sabse