: RAF-Anwälte: Keine neuen Aktionen
Anwälte und Staatsschützer kritisieren Berichte über Mohnhaupt- und Klar-Auftritt in Stammheim/ Sechs neue Ermittlungsverfahren/ Streit über „illegales Informationssystem“ ■ Von Gerd Rosenkranz
Berlin (taz) — Staatsschutzbehörden und RAF-Anwälte haben die Medienberichte über die Erklärungen der RAF-Gefangenen Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar im Stammheimer Prozeßbunker zurückgewiesen. Im Verfahren gegen die Aussteigerin Susanne Albrecht hatten die als Zeugen geladenen Gefangenen letzte Woche angekündigt, sie würden sich nach Abschluß des „Kronzeugenspektakels“ zu den Aussagen der in der Ex-DDR festgenommenen RAF-Aussteiger äußern. Die Aussage Klars, die „Gefangenen werden danach sprechen, direkt zur Öffentlichkeit“, und ähnliche Äußerungen Mohnhaupts gerieten in der Berichterstattung (leider auch in einer Titelzeile der taz) umstandslos zur Ankündigung neuer Aktionen oder gar Anschläge.
In mehreren scharfen Erklärungen reagierten zunächst die AnwältInnen Renate Trobitzsch, Gerd Klusmeyer (beide Hannover), Anke Brenneke-Eggers (Hamburg), Andreas Groß (Wiesbaden) und Heike Krause (Köln) am Wochenende auf die „Falschmeldungen“. Es seien „keine neuen Aktionen angekündigt“ worden, und darüber sei auch „kein Mißverständnis möglich gewesen“. Die Anwälte kündigten rechtliche Schritte gegen alle an, die entsprechend falsch berichtet hätten. Der „Pressehetze muß ein Punkt gesetzt werden“, heißt es.
Direkt bestätigt wurde der Vorwurf der Falschmeldung gestern von Hamburgs Verfassungsschutzchef Christian Lochte. „Was die Anwälte sagen, ist richtig“, meinte Lochte gegenüber der taz. Die Gefangenen hätten lediglich angekündigt, daß „sie selbst zu dem Kronzeugen- Komplex und zur Zusammenarbeit mit der Stasi eine unzensierte Propaganda-Erklärung abgeben wollen“. Anschläge des Untergrundkommandos der RAF könnten allerdings „gleichwohl jederzeit stattfinden“. Ein Sprecher des Bundeskriminalamts in Wiesbaden bestätigte diese Lesart. Zwar verfüge sein Amt „über keinen authentischen Text“ der Stammheimer Äußerungen. Aus „den Quellen, die wir haben, können wir aber keine Anschlagsdrohung erkennen“. Möglicherweise seien in der Berichterstattung „falsche Überschriften“ gewählt worden. Die Anwälte nannten die Berichterstattung über den Auftritt ihrer Mandanten in Stammheim Teil „einer großangelegten Offensive der Staatsschutzbehörden unter tätiger Mithilfe der Medien“. Dazu gehöre auch das von Bundesanwaltschaft und Politikern behauptete „illegale Informationssystem“. Tatsächlich gebe es zu den bei der letzten Zellenrazzia im März angeblich aufgefundenen 7.000 Blatt Papier bis heute keine richterlichen Beschlagnahmebeschlüsse. Die Papierberge umfaßten unter anderem, umfangreiche Briefwechsel der Gefangenen, die bereits die Knastzensur durchlaufen hätten, Korrespondenzen mit Journalisten, Bücherlisten und Verteidigerpost.
Daß ändere grundsätzlich nichts an der Existenz des „illegalen Informationssystems“, meinte gestern der Sprecher der Bundesanwaltschaft (BAW) Hans-Jürgen Förster zu den Vorwürfen der Anwälte. Dem widersprach indirekt Verfassungsschützer Lochte. Die öffentlichen Darstellungen über den Informationsaustausch zwischen den Gefangenen seinen „überdimensioniert“. Es gebe zwar einzelne Kassiber, aber eben „kein illegales Informationssystem im Sinne eines großen Netzes“. Bestätigt wurde gestern Brigitte Mohnhaupts Behauptung, die Aussagen der in der DDR festgenommen, Aussteiger würden jetzt verstärkt gegen diejenigen Gefangenen eingesetzt, „die nicht abschwören und nicht lebenslänglich haben“. Gegen insgesamt sechs bereits rechtskräftig Verurteilte seien aufgrund der Aussagen neue Verfahren eingeleitet worden, bestätigte Förster gegenüber der taz. Betroffen sind neben Peter-Jürgen Boock (lebenslänglich), Ingrid Jakobsmeyer (ihre Haft sollte 1993 enden), Sieglinde Hofmann (Haft bis 1995), Adelheid Schulz (lebenslänglich), Christian Klar (lebenslänglich) und Rolf-Klemens Wagner (lebenslänglich). Förster deutete an, daß wie bereits im Falle Boocks auch bei anderen Betroffenen erneut Haftbefehle vorbereitet werden.
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