: Posthume Weißwäscher
■ Der Künstler John Heartfield darf nicht mehr sein, was er ein Leben lang war: Kommunist. Wendige Ausstellungsmacher sehen in ihm nun lieber den "Romantiker" und das Opfer der SED-Kulturpolitik und sichern sich mit...
Posthume Weißwäscher Der Künstler John Heartfield darf nicht mehr sein, was er ein Leben lang war: Kommunist. Wendige Ausstellungsmacher sehen in ihm nun lieber den „Romantiker“ und das Opfer der SED-Kulturpolitik und sichern sich mit dieser Gesinnungspirouette auch im neuen Deutschland einen Platz im Kunstbetrieb.
VON ANDRÉ MEIER
John Heartfield ist „ein wahrer, echter Kommunist von Leninschem Typus“, schrieb im Sommer 1958 der Fabrikarbeiter Oserof ins Gästebuch einer großen John-Heartfield-Ausstellung, die wenige Tage zuvor in Moskau eröffnet worden war. Ein anderer Besucher ergänzte: „Heartfield... zeigt das Gesicht des Kapitalismus und warnt uns vor seinen gemeinen, schmutzigen Abscheulichkeiten, wofür wir ihm unsere große Dankbarkeit aussprechen müssen.“ Über 400 Arbeiten des 1891 in Berlin geborenen Künstlers waren damals im Zentralen Park für Kultur und Erholung der sowjetischen Hauptstadt zu sehen. Sie wanderten anschließend auf Grundlage des deutsch-chinesischen Kulturabkommens nach Peking und Tientsins.
33 Jahre später ermöglicht wieder ein bilateraler Vertrag eine Reise von Heartfields Kunst durch die Welt. Berlin, Bonn, Tübingen, Hannover, London, Edinburgh, Dublin, New York, San Francisco und Los Angeles sind die Stationen einer Heartfield-Retrospektive, die anläßlich seines 100. Geburtstages und noch im Rahmen des deutsch-deutschen Kulturabkommens konzipiert wurde. Da inzwischen mit der DDR auch einer der Vertragspartner von der politischen Landkarte verschwunden ist, durfte Johannes Rau am vergangenen Mittwoch das Ereignis ohne ein ostdeutsches Politiker-Pendant eröffnen. Der SPD-Politiker kam zu der Ehre, weil sein Bundesland Ausstellung und Katalog zu einem großen Teil finanziert hatte.
Rau, der „Wertungen zum Werk Heartfields“ in seinem Katalog-Geleitwort noch denen überlassen wollte, die das „mit mehr Kenntnissen und Berufungen tun können“, gestand dem Eröffnungspublikum, daß ihn die Ausstellung „unsicher und ratlos“ mache. Denn Heartfield, so der Sozialdemokrat, war nicht nur ein „aufrechter Antifaschist und sensibler Künstler“, sondern auch ein Anhänger der „kommunistischen Sozialfaschismustheorie“.
Diese bittere Erkenntnis hätte der Kurator der Ausstellung, Professor Peter Pachnicke, dem Ministerpräsidenten gerne erspart: Seine Konzeption zielte auf ein neues Heartfield-Bild. Gemeinsam mit seinem westdeutschen Kollegen Klaus Honnef wollte der ehemalige Vizepräsident des DDR-Künstlerverbandes (VBK) die Werke „aus der konkreten historischen Situation entlassen“ und so deutlich machen, daß sie „nicht nur eine agitatorische Wirkungsebene innerhalb eines revolutionären Gebrauchszusammenhangs haben“. Den „Romantiker“ Heartfield, die „Tonwerte, Farbigkeit und Struktur des Materials, die genau kalkulierte Organisation der Bildfläche und der mittels Retusche geschaffene Bildraum“, kurz: alles, was der Fabrikarbeiter Oserof nicht sah, rückten die Ausstellungsmacher in den Vordergrund.
Am Beginn der Präsentation im Erdgeschoß des Schinkel-Baus steht der Dadaist John Heartfield. Helen Adkins hat versucht, den ersten Raum der „ersten Internationalen Dada-Messe“ zu rekonstruieren. Reproduktionen der 1920 in der Berliner Galerie von Dr. Otto Buchard ausgestellten Arbeiten illustrieren das Selbstverständnis der Berliner Dadaisten um John Heartfield, George Grosz und Raoul Hausmann. Kurt Tucholsky schrieb damals: „Kleinere Literaten bemühen sich ein wenig krampfhaft, den Bürger zu schrecken und in anderer Leute Heiligtümer zu spucken. Das ist das Wort: Krampf. Man ist von neun bis sieben Uhr ununterbrochen zersetzend lustig und satirisch aufgelegt. Ein Dadaismus gegen drei Mark und dreißig Pfennig Entree.“
Im Alten Museum kostet der Eintritt inzwischen acht Mark, und die Adkins-Rekonstruktion ist nur eine Station im Oeuvre Heartfields. Er selbst bezeichnete seine damalige künstlerische Haltung später als „nihilistisch“. Sie konnte nach seiner eigenen Einschätzung auch gar nicht anders sein, „denn zum großen Teil stammten wir aus dem Bürgertum und hatten vor allem nicht die Verbindung zur Arbeiterschaft, die wir hätten haben müssen“. Aus diesen „selbstkritischen“ Äußerungen des Jahres 1967 spricht der Kommunist Heartfield, hinter dem fast ein halbes Jahrhundert wechselvollen Parteilebens liegt. Er und sein Bruder, der Malik-Verlag-Gründer Wieland Herzfelde, traten der KPD bereits an ihrem Gründungstag, dem 31.Dezember 1918, bei. Und in dem Maße, in dem die Partei sich dem Stalinismus verpflichtete und dabei Abweichendes maßregelte, disziplinierte auch Heartfield seine künstlerischen Mittel.
Mitte der zwanziger Jahre arbeitet er vor allem als Buchgestalter für den Malik-Verlag und kultiviert die während seiner dadaistischen Jahre entwickelte Montage-Technik. „Unser Verlag benötigte“, so sein Bruder 1962, „besonders aussagekräftige Umschläge und Buchbezüge. Sie sollten nicht nur die wenigen linken, sondern auch andersgesinnte Buchhändler veranlassen, unsere Neuerscheinungen ins Schaufenster zu stellen.“
Schlagkräftige Parolen
Die Rechnung ging auf. Der Malik-Verlag hatte Dank Heartfield zufriedenstellende Umsätze, und am Ende der zwanziger Jahre zählen für Jan Tschichold die Bucheinbände des Ex-Dadaisten mit zum Besten auf dem „Gebiet der Reklame-Fotomontage“. Elisabeth Patzwall vom Ostberliner Heartfield-Archiv belegt auf der Ausstellung durch ihre Rekonstruktion des Heartfield-Raums der Internationalen Werkbundausstellung „Film und Foto“ (Stuttgart 1929) die Bedeutung des Malik-Gestalters für die Entwicklung der deutschen Gebrauchsgraphik. Angebote von Reklameabteilungen großer Industrieunternehmen schlug Heartfield aus. Statt dessen arbeitete er als Mitglied der Roten Künstlergruppe Berlin und bis 1927 als Redakteur des KPD-Witzblattes 'Roter Knüppel‘. Für den paramilitärischen Rotfrontkämpferbund schuf er das Symbol, die geballte Faust im roten Kreis, und mit seinen Plakaten ging die Partei in ihre letzten Wahlkämpfe. Die formale Radikalität, das Chaos der früheren Dada-Montagen weicht in diesen Arbeiten einer strengeren Bildstruktur. Eine Bildidee dominiert, ihre Aussage korrespondiert mit den ebenso schlagkräftigen wie schlichten Parolen. 1928 waren es die gespreizten fünf Finger, die auf der Titelseite der 'Roten Fahne‘ die Arbeiter auffordern sollten, Liste 5 zu wählen, um so den Feind zu packen. Im gleichen Wahlkampf ließ Heartfield auf einem weniger bekannten Titelblatt der Parteizeitung an fünf Fünfen die politischen Gegner strangulieren.
Doch die politische Rigorosität dieser Plakate versuchen die Ausstellungsmacher zu relativieren, indem sie ihnen — fein säuberlich gerahmt — die unikaten Entwürfe Heartfields gegenüberstellen. So kann Pachnicke in seinem Katalogbeitrag folgerichtig die in den Montage-Originalen aufkeimende „romantische Stimmung“ und eine „Sehnsucht nach Harmonie“ feiern, die „in spannungsvollem Gegensatz zur problematisierenden, scharfgeschnittenen Satire“ steht, während Hermann Weber Heartfields politische Aussagen didaktisch widerlegt. In seinem umfänglichen Aufsatz über die „Auseinandersetzungen von SPD und KPD in der Weimarer Republik“ darf er ideologisch geraderücken, was der Kommunist Heartfield im Auftrag der von der „Stalinschen Komintern-Führung“ gelenkten KPD an politischer Kunst zum Schaden der deutschen Sozialdemokratie entwarf.
Neben Heartfields im Prager und Londoner Exil entstandenen Werken bilden seine szenographischen Arbeiten den abschließenden Schwerpunkt der Retrospektive. Allerdings wird auch dieser Abschnitt der Ausstellung vom Bemühen der Organisatoren überschattet, dem Heartfield-Bild neue und rein künstlerische Seiten abzugewinnen. Und so stellt man groß, bunt und grell jenen eher atypischen Bühnenaufbau in das Zentrum des letzten Raumes, den der 1950 in die DDR heimgekehrte Künstler fünf Jahre später für das Deutsche Theater schuf. Die Kulisse für David Bergs Mutter Riba zeigt eine amerikanische Supermarkt-Fassade, in der sich all die netten Waren finden, die nur wenige Jahre später bei Warhol und Kollegen zu Ikonen werden. Also auch das noch: Aus dem „Romantiker“ wird am Ende ein „Pop-Artist“.
Stilisierung zum Opfer fragwürdig
23 Jahre nach seinem Tod kann auch Heartfield nicht mehr sein, was nicht sein darf: ein Kommunist, ein Realist, der einer inzwischen suspekten politischen Idee verpflichtet ist. Und die DDR hat es all jenen leicht gemacht, die nun auch Heartfield ins Dissidentenlager überführen wollen. Nach seiner Rückkehr wurde Heartfield von der Partei wie fast alle Westemigranten auf Distanz gehalten und konnte erst 1956 ihre Reihen wieder betreten. Und auch seinem Lebenswerk galten die Angriffe der stalinistischen Kulturtheoretiker, die jede Abweichung vom nach sowjetischem Vorbild zur Norm erhobenen Naturalismus als Formalismus geißelten. Erst Ende der fünfziger Jahre wird Heartfield Mitglied der Akademie der Künste der DDR, Professor und mit Ausstellungen und Auszeichnungen geehrt. Doch dieses Schicksal teilt er mit fast allen wichtigen Künstlern seines Landes. Bezeichnenderweise galt auf der Pressekonferenz zur Ausstellung der Frage, ob und wie denn nun Heartfield in der DDR gelitten habe, die größte Aufmerksamkeit. Peter Pachnicke mußte zwar gestehen, daß sich in Heartfields Nachlaß keine Äußerungen finden ließen, die belegen, daß sich der Künstler „unterdrückt gefühlt habe“, aber, so der Ex-VBK-Funktionär, er glaube, „ganz unterbewußt“ habe er es. Allein Tom Heartfield, der in Amerika aufgewachsene und mit den neuen deutschen Bewältigungsritualen nicht vertraute Sohn, erklärte freimütig: „Am Anfang hat es ein paar Probleme gegeben, doch schließlich sei alles rechtmäßig geworden.“
Wie problematisch eine Stilisierung Heartfields zum Opfer sozialistischer Kulturpolitik ist, zeigt einer der wenigen wirklich überzeugenden Katalogbeiträge. Der Kasseler Kunsthistoriker Hubertus Gassner untersucht in ihm Heartfields einjährigen UdSSR-Aufenthalt Anfang der dreißiger Jahre. Er schildert, wie Heartfields Kunst von stalinistischen Kulturtheoretikern instrumentalisiert wurde, um gegen die letzte Insel konstruktivistischer Kunstauffassungen, gegen die Fotomonteure der „Oktjabr-Gruppe“, vorzugehen. Am Ende fallen auch Heartfields Arbeiten der Kritik anheim, und er muß in die Richtung der von der Mutterpartei gesetzten künstlerischen Postulate einlenken. Nicht mehr die Technik, so fordert Stalin, sondern der Mensch muß im Mittelpunkt unseres Programms stehen. Und da steht er dann auch bei Heartfield und schwört, das sozialistische Vaterland nicht im Stich zu lassen.
Im Stich gelassen hat sein sozialistisches Vaterland zweifelsohne Peter Pachnicke. Der Mann, der noch vor vier Jahren im Katalogvorwort zur X. Kunstausstellung der DDR festzustellen glaubte, daß die sozialen Bedingungen für in „persönlicher Freiheit entstehende Werke und eine der Kunst aufgeschlossene gesellschaftliche Atmosphäre durch die von der Partei der Arbeiterklasse im Bündnis mit den Künstlern weitsichtig geführte Kulturpolitik“ möglich wurde, inszeniert ausgerechnet mit Heartfield seine Abkehr von der marxistischen Kunstgeschichtsschreibung. Als ehemals für Auslandsverbindungen verantwortlicher Künstlerverbandsfunktionär hat er sich auch dieses lukrative Tourneeprogramm nicht nehmen lassen und bezahlt nun das Ticket mit einer vollendeten Gesinnungspirouette.
Dagegen, daß „ausgerechnet Heartfield dem auf politische Abstinenz zielenden Zeitgeist geopfert werden soll“ und gegen anrüchige Machenschaften des DuMont- Verlages protestierten weniger konforme DDR-Kunsthistoriker gemeinsam mit westdeutschen Kollegen. Denn der Kölner Verlag hat ein grundlegendes Buch des Heartfield-Kenners Roland März, das in diesem Jahr bei der Edition Leipzig erscheinen sollte, mit der Drohung, im Fall einer parallelen Veröffentlichung den Ausstellungskatalog nicht zu produzieren, auf Eis legen lassen — argumentiert seinerseits aber damit, daß die Akademie der Künste als Inhaberin der Rechte an den Klebebildern diese doppelt vergeben habe: einerseits an die Edition Leipzig, andererseits an DuMont. Zu den Unterzeichnern des Protestbriefes gehören unter anderen Klaus Staeck, Eckhart Gillen und die Ostberliner Kunsthistoriker Eugen Blume, Mathias Flügge und Christoph Tannert. Wie schrieb die Komsomolzin Anja J. 1958 in das Gästebuch der Moskauer Heartfield-Ausstellung: „Man muß unterscheiden! Es gibt verschiedene Deutsche.“
John Heartfield: Retrospektive 1891-1968
Akademie der Künste zu Berlin im Alten Museum (Lustgarten), bis 11. Juli
Weitere Stationen:
Bonn, Rheinisches Landesmuseum: 6.9. bis 3.11.91
Tübingen, Kunsthalle: 11.1. bis 1.3.92
Hannover, Sprengel Museum: 16.3. bis 24.5. 92
London, Barbican Centre Gallery: August/September 92
Edinburgh, Scottish National Gallery of Modern Art: Herbst 92
San Francisco, Museum of Modern Art: ab Juli 93
Los Angeles, County Museum of Art: Herbst 93
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