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Rotkäppchen's Feuertanz

■ Heute: Cafe EntwederOder in der Oderbergstraße

Ja, ja, ja, das ist sehr gut, sehr gut. Entweder Oder. Oder garnicht.

Also gar nicht. Das Café mit diesem eigentümlichen Namen existiert bereits seit Dezember 1990. Vor undenklichen Zeiten befand sich hier ein Schuster, und als der auszog, war da nichts mehr. Doch dann kamen ein paar Undercover-Agenten des Wohnbezirksausschußes der Nationalen Front der DDR auf die Idee, in die verwaisten Räume einen Treffpunkt für die Bürgerbewegung einzurichten, die sich um die Erhaltung (?) der Oderbergerstraße bemühte. Daher der Name. Damit die Berufsrevolutionäre auch was zu knabbern haben, hat die Oderberger nun auch ihr Vereinslokal. Der BasisDruck spendierte die Ausstattung, der Verein die Bedienung und die Oderbergerstraße ein buntgewürfeltes Publikum.

So bunt würfelt es sich nun heute leider nicht mehr. Die Mitgliedsausweise wurden verteilt und das Publikum sieht jetzt aus, wie die Ordnungskräfte im benachbarten Franz-Club. Jeden zweiten Mittwoch wird die verschüttete genetische Information der Volkssolidarität reaktiviert und die anwohnenden Rentner haben bis zu einer exakt festgelegten Zeit die Möglichkeit, sich als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft zu fühlen. (»Rentnercafe«, P 65)

Gleich nebenan befindet sich der Oderkahn , dessen überaus sympathische Wirtin nun all die Musiker und Dichter, denen sie über die Jahre herzlich die Treppe hinaus geholfen hat, an das Cafe verlieren mußte. Aber ach, die verschwörerischen Mittwochsrunden hier zwischen Kugelfischen und Signalbojen sind dahin, und während jetzt im Oderkahn Handwerker und der dicke Taxifahrer von gegenüber ihr Bier kippen, sitzen im Cafe sämtliche Faulpelze der Umgebung bei französischem Landwein.

Unten sitzt man mit Blick auf die Straße, oben mit Blick auf den Tresen. Auf beiden Etagen blickt man auf Bilder. Kein Cafe ohne seine Galerie. Neben der Theke befindet sich ein Bücherregal, in dem der interessierte junge Leser alles über die verfehlte Drogenpolitik der westdeutschen Regierung und die ökologisch unbedenkliche Verkompostierung von Teebeuteln erfährt (siehe Otto!). Trinken kann man am Tresen eigentlich ganz gut, zwei Biere, zwei Weizen, Guiness und Stout gelegentlich. Der Rotwein passabel und preiswert, der Weiße gut bis angenehm. Zu empfehlen der weiße Bordeaux (aber nur aus dem Eisschrank).

Was die Küche angeht, so wechselt diese so häufig wie die Mannschaft. Regelmäßig wie zu HO-Zeiten geht der rührigen Dame in der Kochnische um Halbelf das Toast(pfui Teufel)Brot aus. Das Dressing zum Salat wird anscheinend nur in der praktischen 250 ml Flasche gekauft, spätestens nach dem vierten Teller sind die Vorräte erschöpft. Kuchen gibts allerdings immer. Ab Halbzwei fängt manchmal einer der Hobbygastronomen an, sein Revier zu reinigen, wie man das so schön sagt. Anspruchslose Gäste sollten dann beim Stühlehochstellen helfen. Entweder so. Oder gar nicht. Handloik

CAFEENTWEDER-ODER,ODERBERGERSTRASSE

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