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Ein perfekt funktionierender Teufelskreis

■ Die Rechte hier lebender Immigrantinnen hängen nach wie vor von ihren Männern ab/ Zukunft der Härtefallkommission unklar

Berlin. Im Alter von 18 Jahren hat Kadriye geheiratet. Damals lebte sie noch in der Türkei, doch ihr Mann nahm sie 1974 mit nach Berlin. 1980 wurde ihr gemeinsamer Sohn hier geboren. Doch die Ehe ging nicht gut. Ihr Mann schlug sie und schickte Kadriye nach zwölf Jahren in Deutschland 1986 zusammen mit ihrem Sohn zurück in die Türkei.

Die Rechte der Frauen hier lebender Immigranten definieren sich über Jahre hinweg einzig und allein über die Rechte ihrer Männer. Erst nach vier Jahren häuslicher Gemeinschaft, so schreibt es das neue Ausländergesetz vor, können sich die Frauen trennen, ohne daß sie von unmittelbarer Abschiebung bedroht sind. Selbst dann erwerben sie einen unabhängigen Aufenthaltsstatus nur für die Dauer eines Jahres. Danach dürfen sie nur in der Bundesrepublik bleiben, wenn sie keine staatlichen Hilfen in Anspruch nehmen.

Die Rückkehr in die Türkei war für Kadriye die reinste Hölle. In ihrer Heimatstadt erwartete sie ein hartes Familiengericht, für das Scheitern der Ehe wurde allein sie verantwortlich gemacht. Eine Arbeit zu finden ist schon aufgrund der hohen Arbeitslosenquote in der Türkei für Frauen fast unmöglich, die Löhne sind niedrig. Für die Eltern waren Kadriye und ihr kleiner Sohn in jeder Hinsicht eine zusätzliche Belastung — entsprechend unfreundlich und lieblos behandelten sie die damals dreißigjährige Frau. Zwar hatten deutsche Richter Kadriye das Kind zugesprochen und den Vater zu Unterhaltszahlungen verdonnert, »aber wer, bitte schön, kontrolliert das denn, wenn man wieder in der Türkei ist!« Generell sei es für eine Ausländerin nicht leicht, vor deutschen Gerichten recht zu bekommen. »Die sagen dann: Was wollt ihr denn, bei euch Türken hat das Prügeln der Frauen doch Tradition«, berichtet Kadriye von ihren Erfahrungen.

Dabei hatte Kadriye durch ihren zwölfjährigen Aufenthalt in Berlin nach der damaligen Gesetzgebung schon längst eine unbefristete Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis erhalten. Hier hatte sie Freunde gefunden, die deutsche Sprache beherrscht sie fließend und ihr Sohn wurde 1986 gerade eingeschult. Doch darauf konnte sie sich drei Jahre später, als es ihrem Mann einfiel, sie wieder nach Berlin zurückzuholen, nicht mehr berufen. Alle damals erlangten Rechte waren durch ihren Aufenthalt in der Türkei wieder erloschen.

Kadriye bekam ein zweites Kind, erneut wurde sie von ihrem Mann verprügelt und mißhandelt. Zwei Jahre nachdem sie nach Berlin zurückgekehrt war, floh sie mit ihren beiden Kindern ins Frauenhaus. Doch hier ist sie alles andere als sicher: Da sie zwar eine Aufenthaltserlaubnis, aber keine eigenständige Aufenthaltsgenehmigung hat, darf sie nicht arbeiten. Da sie nicht arbeiten darf, muß sie, um sich und ihre Kinder zu ernähren, Sozialhilfe beantragen. Wer jedoch als Immigrant für sich und seine Familienangehörige Sozialhilfe in Anspruch nimmt, kann ausgewiesen werden. Da Kadriye keine Arbeit hat, findet sie auch keine Wohnung. Doch Obdachlosigkeit ist ein Ausweisungsgrund. Alle Behörden und öffentlichen Stellen sind verpflichtet oder können verpflichtet werden, sämtliche Erkenntnisse über AusländerInnen zu melden. Wer diese Stellen, beispielsweise das Jugendamt zwecks Hilfe zur Erziehung außerhalb der Familie, in Anspruch nimmt, ist von Ausweisung bedroht. Der Teufelskreis ist perfekt.

»All die Jahre, die ich früher hier gelebt habe, gelten nicht mehr«, klagt Kadriye mit Bitterkeit in der Stimme, »ich weiß einfach nicht, warum.« Zwar gilt ihre Aufenthaltserlaubnis und die ihrer Kinder bis Ende des Jahres, da sie jedoch Sozialhilfe bezieht, fürchtet sie sich jeden Tag neu vor der möglichen Abschiebung. Helga Korthaase, Staatssekretärin in der Frauensenatsverwaltung, kennt die Probleme der im Frauenhaus lebenden ausländischen Frauen. Schon 1982, erzählt sie der taz, habe eine fraktionsübergreifende Sitzung der weiblichen Abgeordneten dafür plädiert, Gewalt ausländischer Männer gegenüber ihren Frauen als Grund zu akzeptieren, der den Frauen das Hierbleiben ermöglicht. Bei diesem Plädoyer allerdings sei es geblieben. Mittlerweile gilt ein wesentlich schärferes Ausländergesetz, auch wenn die Ausführungsvorschriften bislang noch nicht verabschiedet wurden. Ungeklärt ist zur Zeit auch noch, ob es die unter Rot- Grün eingerichtete Härtefallkommission weiterhin geben wird. Zwar konnte auch dieses Gremium keine Entscheidung darüber treffen, ob jemand hierbleiben darf oder nicht, aber zumindest gegenüber dem Innensenator Empfehlungen aussprechen. »Jede Frau, die befürchtet, abgeschoben zu werden«, empfiehlt Helga Korthaase dringend, »muß sich persönlich mit ihrem Fall an uns wenden. Nur so können wir womöglich etwas für sie tun.«

Auf verbindliche Rechtsprechung oder Präzedenzfälle können sich die vielen betroffenen ausländischen Frauen also nicht berufen. Für Kadriye ein harter Schlag: Ihre Kinder sollen in deutsche Schulen gehen, um bessere Berufschancen zu haben, als sie es hatte. Kadriye selbst will im Herbst ihren Hauptschulabschluß und danach eine Ausbildung machen. Doch möglicherweise muß sie dann zurück in die Türkei. Martina Habersetzer

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