piwik no script img

Quadratur des Kreises

■ Was ist der Preis für die EG-Agrarpolitik?

Wer heute beim Bäcker ein Brötchen kauft, bezahlt für den darin enthaltenen Weizen nur noch rund einen Pfennig. Denn allein seit dem Bestehen der EG hat sich der Preis für Weizen halbiert. Bekanntlich ergibt aber der Preis mal der produzierten Menge das Einkommen von Betrieben. Fällt der Preis, muß die Menge erhöht erhöht werden — durch Rationalisierung. Dies gilt auch für die Landwirtschaft. Arbeitskraft wird ersetzt durch Chemie, Technik und — neuerdings durch die Wunderwerke der Gentechnologie. In diesen Agro-Fabriken werden die Überschüsse erzeugt, die — weil in Europa nicht mehr absetzbar — mit den vom Steuerzahler finanzierten Subventionen der EG zu Dumpingpreisen auf dem Weltmarkt verschleudert werden. Anderen Ländern, besonders der Dritten Welt, werden so traditionelle Absatzmöglichkeiten zerstört. Gleichzeitig wird der Ausbeutungsgrad von Pflanzen und Tieren derart gesteigert, daß es nicht mehr im Belieben der einzelnen Bauern und Bäuerinnen steht, ob sie Chemie und Medikamente einsetzen oder nicht. Sie müssen es tun, wollen sie in der Konkurrenz bestehen. Den wenigsten gelingt dies: Alle zwei Minuten stirbt ein Hof in Europa — rund 500.000 Arbeitsplätze gehen jedes Jahr im ländlichen Raum verloren. Aufgeben müssen in erster Linie Betriebe, die noch am ehesten bäuerlich ökologisch wirtschaften.

An der Zerstörung der historisch gewachsenen bäuerlichen Produktionsweise und ihrer Kulturlandschaft werden Milliarden verdient — von Banken, Chemiefirmen, der Gentech-Industrie, Großgenossenschaften, Im- und Export-Multis. Sie setzen ihre Interessen mit Hilfe der EG durch. Daran ändert auch Agrarkommissar Mac Sharries Reformvorschlag nichts. Die EG verfolgt weiterhin das Ziel, die Agrarproduktion stärker zu rationalisieren, um erstens die Ernährungsindustrie mit billigen Agrarrohstoffen zu versorgen, um zweitens die Lebensmittelpreise für die Konsumenten zu verringern, um drittens bei den Verbrauchern möglichst viele „freie Mittel“ für andere Güter bereitzustellen und um viertens die EG als agrarwirtschaftliche Weltmacht zu stabilisieren. Vehikel zur Erreichung dieser Ziele ist die Preispolitik. Die durch ihre Politik entstehenden Widersprüche versucht die EG zu kaschieren: Exportsubventionen sollen die Überschüsse beseitigen, sozial-ökologische Ausgleichsprogramme die katastrophalen Folgeerscheinungen im ländlichen Raum mildern. Mit Lebensmittelkontrollen will man die gesundheitlichen Schäden in Grenzen halten und mit Tierschutzrichtlinien die gröbsten Formen von Tierquälerei verhindern. Entwicklungshilfeprogramme schließlich sollen die wirtschaftliche Konsequenzen der Exportsubvention für die Dritte Welt überdecken. Die Quadratur des Kreises! Dies kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Höhe des Preises die Art der Produktion bestimmt, ihre Qualität und Würde. Erst wenn wir begriffen haben, daß mit der jetzt anstehenden Senkung des Milchpreises der wirtschaftspolitische Zwang geschaffen wird, um unter anderem das Rinderwachstumshormon rBST und damit Gentechnologie als Rationalisierungsmaßnahme zu akzeptieren, kennen wir den wirklichen Preis der EG-Agrarpolitik. Friedrich-Wilhem Graefe zu Bahringdorf

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen