: Fußballgala im rotgelben Hexenkessel
Inter Mailand gewann im römischen Stadio Olimpico durch ein 0:1 gegen AS Rom (Hinspiel: 2:0) den UEFA-Pokal/ Jürgen Klinsmann erwies sich als Deutschlands Mittelstürmer Nummer zwei ■ Aus Rom Peter Unfried
Es sind nicht immer die besten Spiele, die sich einem ins Gedächtnis eingraben und dort ihren festen Platz finden, weil ein gutes Spiel nicht unbedingt ein Beeindruckendes gewesen sein muß. Der UEFA-Pokalsieg von Inter Mailand im Stadio Olimpico in Rom kam durch solide und harte Arbeit zustande, in der Hauptsache vor dem eigenen Tor verrichtet, und nach der Maxime, nach dem 2:0 aus dem Hinspiel wenig, möglichst gar nichts passieren zu lassen.
Und dennoch lebte die Partie, die, hätte sie etwa im Stuttgarter Neckarstadion stattgefunden, den meisten nur ein müdes Gähnen abgerungen hätte. Weil sich zwar über 70. Minuten nichts ereignete, die 75.000 im ausverkauften Olympiastadion aber zu spüren glaubten, daß jeden Moment etwas passieren könnte. Allein die Aufregung beim Anstoß! Das Stadion ein rotgelbes Fahnenmeer, Dutzende Leuchtraketen schossen in die warme leuchtende Nacht, und nur schemenhaft war auf dem völlig eingenebelten Spielfeld der Blondschopf von Inter-Stürmer Jürgen Klinsmann zu erkennen, der den allerersten Ball spielte.
Der 26jährige hat eigentlich eine gute Saison hinter sich, liegt mit vierzehn Treffern an vierter Stelle der Torschützenliste, was umso höher einzustufen ist, da er keine Elfmeter tritt. Denn hätten sich Vialli, Matthäus und Aguilera nicht dieser relativ einfachen Art des Toreschießens bedienen können, dann wäre Klinsmann gemeinsam mit Genuas Tschechoslowaken Skuhravy zum „Capo cannoniere“ (Torschützenkönig) avanciert. Aber die Inter-Taktik, auf zwei Linien — einer festen vor dem Sechzehnmeterraum, einer flexiblen zwanzig Meter davor — zu verteidigen, ließ den allein auf sich gestellten Geislinger nie ins Spiel kommen. Weder gegen Tempestilli, noch später gegen Aldair konnte er sich entscheidend durchsetzen.
Der bessere Stürmer spielte bei AS Rom: Rudi Völler zeigte in jeder Situation, daß er wohl für die italienische Art, Fußball zu spielen, einfach besser ausgerüstet ist. Der Liebling der römischen Tifosi ist, selbst wo es ganz eng wird und mit einem Klassemann wie Inter-Manndecker Riccardo Ferri im Rücken, immer anspielbereit, in der Lage, den Ball in kürzester Zeit zu verarbeiten, und kann sich mittels seines Antritts dann sofort die ein, zwei nötigen Meter Raum verschaffen. Klinsmanns beste Waffe dagegen, die angetäuschte Annahme, bei der er den Ball mit dem Außenrist am Gegenspieler vorbeischiebt, ist nur mit viel Raum praktizierbar. Wurde es eng, verlor Klinsmann meist schnell Übersicht und Ballbesitz.
Aber selbst Völlers Vorstellung nutzte dem AS Rom, der genau wie Inter auf der verzweifelten Jagd nach wenigstens einem Saisonhöhepunkt war, letztlich nichts, weil Giuseppe Giannini, der „Göttliche“, allzu lustlos und uninspiriert wirkte, und Rizzitellis Tor zum 1:0 (die Flanke kam von Völler) erst kurz vor Schluß und damit zu spät fiel. Die Roma-Rufe schwollen zwar nun noch zum Orkan, die Fähnlein wehten im Herzschlagtakt, doch Rizzitelli köpfte über das Tor, der französische Schiedsrichter Quiniou pfiff, und die Freudentänzchen führten Inter-Kapitän Bergomi und sein Trainer Giovanni Trapattoni auf.
Für letzteren (er will zu Juventus Turin zurück) war es das erwünschte Happy End, mit dem im Rücken er sich ein generöses „Kompliment an Roma“ leisten konnte. Das hatte sich der AS verdient, die Fans sahen es auch so und jubelten noch fast eine Viertelstunde nach dem (bitteren) Ende vollzählig ihren überirdischen Rotgelben zu.
Rudi Völler und Thomas Berthold saßen da schon im Roma-Bus in der letzten Reihe, rauchten Zigaretten, hatten die Kinnladen nach unten hängen und sahen eigentlich schon wieder sehr irdisch aus.
Und es schwebte eine Frage in die nun kühle Nachtluft über dem heißen Kessel des Stadio Olimpico. Wenn etwas von solcher Schlichtheit wie der Fußball an sich, und diese Begegnung im besonderen, Menschen in einen solchen Taumel der (positiven) Gefühle reißen konnte, war das doch mehr als nur ein Spiel? Trapattoni, der Weise, fand auch hier die passende Antwort: „Un grande gala!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen