Urteil über AKW Brokdorf verschoben

„Prozessuale Hürde“ verhindert Urteil des Berliner Bundesverwaltungsgerichts im Revisionsprozeß um die Stillegung des Reaktors/ Inoffizielle Informationen: Grenzwerte angemessen  ■ Von Dirk Seifert

Berlin/Hamburg — In dem Revisionsprozeß um die Stillegung des AKW Brokdorf hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) in Berlin gestern entgegen allgemeiner Erwartungen vorerst kein Urteil gesprochen. Der Brokdorfer Diplom-Meteorologe Karsten Hinrichsen klagt gegen die zweite Teilbetriebsgenehmigung. Da die erhöhte Strahlenbelastung durch den Super-GAU bei der Festsetzung der erlaubten radioaktiven Emissionen des AKW Brokdorf damals nicht eingerechnet worden sei, seien die in der Genehmigung erlaubten radioaktiven Abgabemengen während des Normalbetriebs viel zu hoch, argumentiert Hinrichsen. Der Kläger und AKW-Nachbar sieht sich gesundheitlich gefährdet, da er sich vorwiegend vom eigenen Gemüse ernährt. In der ersten Instanz vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg wurde seine Klagen vor zwei Jahren abgewiesen und hatte das jetzige Revisionsverfahren zur Folge.

Obwohl der 7. Senat gestern in der Sache nicht entschied, gab er zu verstehen, daß er das Lüneburger Urteil bestätigt und damit den AKW-Betreibern recht gegeben hätte, die der Auffassung sind, daß die Strahlenbelastung durch Tschernobyl bei der Genehmigung von Brokdorf unerheblich gewesen sei.

Der Grund dafür, daß der Atomsenat des BVerwG in der Sache dennoch keine Entscheidung traf, ist eine „prozessuale Hürde“. So hatte das OVG Lüneburg in der ersten Instanz die schriftliche Urteilsbegründung erst sechseinhalb Monate nach der Verkündung angefertigt. Während der 7. Senat aber nur eine Frist von fünf Monaten zwischen Verkündung und schriftlicher Ausfertigung für zulässig hält, haben andere Senate des BVerwG längere Zeitspannen für rechtlich einwandfrei erklärt. Um diese unterschiedliche Rechtsprechung zu vereinheitlichen, so der Vorsitzende Richter und Präsident des BVerwG, Horst Sendler, gestern in Berlin, soll nun zunächst der „Große Senat“, an dem alle Senate beteiligt sind, darüber beraten.

Spannend war dieser Revisionsprozeß dadurch geworden, daß Energieminister Günther Jansen (SPD) als Beklagter und Vertreter der Genehmigungsbehörde für das AKW Brokdorf seine Rechtsposition geändert und sich der Auffassung des Klägers angeschlossen hatte. Rechtsanwalt Becker hatte bei der mündlichen Verhandlung vor einigen Wochen erklärt: „Das Energieministerium teilt erstmalig die Auffassung, daß die radioaktive Vorbelastung durch Tschernobyl bei der Genehmigung des AKWs Brokdorf zu berücksichtigen war.“ Richter Sendler hatte dies als eine „schiefe Schlachtordnung“ bezeichnet. Vor drei Jahren hatte Jansen in der ersten Instanz die genehmigten radioaktiven Abgabemengen als juristisch völlig einwandfrei bezeichnet.