Ordentliche Chorus Line

Das 6. Europäische Schwul-Lesbische Chorfestival  ■ Von Jan Feddersen

Mein Gott, ist ja mal wieder typisch! Den Schwulen kann man auch alles vorsetzen!“ rief einer aus, der sich schon bald von der „Cap San Diego“, dem maritimen Ort des Abschlußfestes des 6. Europäischen Schwul-Lesbischen Chorfestivals, davonmachte. Die Organisatoren wußten freilich sehr genau, daß sie den Fetenden nichts als Magerkost vorsetzten. Für mehr als Travestie der Handelsklasse C, für mehr als Disko, Amateurstripeinlagen und Klamauk der unfreiwilligen Art reichte der 80.000 Mark hohe Etat nicht aus.

Das Fest auf Hamburgs pittoreskem Museumsschiff hatte nur einen Zweck: Fortsetzung des viertägigen Treffens der etwa 350 homosexuellen Chorsänger und, noch wichtiger, viele Eintrittsgelder, um den drohenden Konkurs des Hamburger „Schola Cantorosa“ abzuwenden. Und es gelang: Der Hamburger Chor, als e.V. amtsgerichtlich eingetragen ist, darf weitermachen. Samt zweier Bürgschaften in Höhe von je 10.000 Mark vom Kultursenator und von der (wahlkämpfenden) SPD-Bürgerschaftsfraktion ging zumindest die finanzielle Rechnung auf. Was freilich auf künstlerischer Seite bei Soll und Haben verbucht werden kann, blieb auch am Ende der „tollen Tage“ (ein Mitglied des Stockholmer „Gay Kör“) ebenso offen wie die Frage danach, was überhaupt „Schwulenemanzipation“ — nach Ankündigung der christliberalen Koalition auf Tilgung des Paragraphen175 — noch bedeute. Was also ist das speziell Homosexuelle am Gesang von zehn oder dreißig Männern, die sich durch ihre sexuelle Orientierung verbunden fühlen? Warum wollen schwule Männer (der Titel „Schwul-Lesbisches Chorfestival“ entpuppte sich als leeres Versprechen, nur in vier Singgemeinschaften machten überhaupt Lesben mit) gemeinsam singen? Und: wozu?

Festzustellen ist dies: 1985 fand erstmals in Köln ein kleines Festival schwuler Chöre statt. Man trug damals Flitter, legte auf den schönen Ton weniger wert als auf den Akt schlechthin, ein solches Fest zu veranstalten. Viel hat sich seitdem verändert. Der Hamburger „Tuntenchor“ beispielsweise, in dem Ende der siebziger Jahre Ernie Reinhardt oder Gunter Schmidt mehr oder weniger schön-schräge mitsangen und auf öffentliche Reputation keinen Wert legten, hätte beim diesjährigen Treffen kaum Chancen gehabt.

Statt dessen dominierten Leder, Maßanzug, Oberhemd und Krawatte— ordentliche junge Männer mit guten Manieren. In der Mehrzahl Bewegungsmänner, die sich pragmatisch darauf verständigt zu haben schienen, daß schwules Leben schon mit einem Antidiskriminierungsgesetz, einer Kandidatur auf einer Parteiliste oder eben mit der Teilnahme an einem Chorfestival qualitativ viel gewinne.

„Fescher als Fischer“, so titelte vor drei Jahren die tageszeitung nach dem Berliner Chortreffen, eine Tendenz beschreibend, die sich beim Hamburger Festival auf der ganzen Linie durchgesetzt hat. Wiewohl auch dies richtig ist: „Unser Chor ist eine Alternative zur Subkultur, wo man Leute häufig nur über Sex kennenlernen kann“, sagte ein Hamburger Chorknabe, was von einem Mitsänger ergänzt wurde um die Aussage, daß „ein schwuler Chor nicht immer nur klagen muß, sondern auch ein fröhliches Lebensgefühl sängerisch formulieren kann“.

Ausgerechnet aus der Provinz kam die Gruppe, die das am Hinreißendsten tat: Der „Schwule Männerchor Kiel“, erprobt durch Sangesinterventionen bei der Kieler Woche, trällerte zu zehnt in gelegentlich auch ironischer Manier, als sei's an der Förde die leichteste Übung der Welt, schwules Selbstbewußtsein zu entwickeln. „Des Wahnsinns fette Beute“, skattete die Gruppe, leicht, heiter und, ja auch, stimmlich professionell, dennoch so unperfekt- charmant, daß andere Gruppen ein wenig neidisch wurden.

Die Hamburger Gruppe, einst beim Berliner Festival wegen ihrer verhuschten Religiosität ausgebuht, servierte einen Beitrag, der deutlich darum bemüht war, sowohl die anwesenden Eltern im Saale nicht zu sehr zu verschrecken, als auch tapfer die Riten der Schwulen — so wurden aus „Tulpen aus Amsterdam“ „Tücher am Arsch vom Mann“ — auf die Schippe zu nehmen. Überhaupt kreisten die Programme der meisten— westeuropäischen und US- amerikanischen — Chöre überwiegend um so etwas wie die Weltanschauung der Schwulen: Wer sind wir eigentlich?

Man skandierte „Huch“ und „Hach“, zeigte auf der Bühne auch die ganze Bandbreite homosexueller Kultur vom Leder bis zur Flitterelse, kokettierte mit den Abgründen einer Kultur, die bislang nur objektiv Gemeinsamkeit stiftete. Gelegentlich blieb man sehr ernsthaft, dann wurde es staubtrocken wie beim Missionsabend einer Erweckungsgemeinde. Der Hannoveraner Chor etwa sang voluminös davon, wie schwer es doch sei, schwul zu sein, was von den Frankfurter „Mainsirenen“ vielstimmig bestätigt wurde. Immerhin: Die Hannoveraner hatten Stimmen der unmanierierten Art, es klang, auch dies, männlich, gar kernig und weniger piano und verhalten, unaggressiv und brav wie all die anderen Stimmkörper.

Über die Zukunft des Festivals wurde am Rande der Hamburger Tage kaum gestritten. Einig war man sich nur darüber, daß ein solches Festival kaum noch mit solch wackeligem finanziellem Kalkül durchgeführt werden kann. Alle, die beim Festival mitmachen wollten, empfahlen die Herren vom legendären „Seattle Men's Chorus“, sollten einen Geldbetrag vorab spenden, auf daß die Veranstalter nicht ruiniert werden. 1993 sind's die Männer vom Zürcher Chor „Schmaz“, die das dann 7. Europäische Schwul-Lesbische Chorfestival ausrichten wollen.

Wahrscheinlich werden die Kölner Männer von „Triviatas“ wieder nicht dabeisein. Sie nämlich verzichteten auf einen Ausflug an die Elbe, weil man ihnen keinen ganzen Abend zur Performance einräumen wollte. „Wir müssen irgendwie Amateure bleiben“, hieß es bei den Beratungen über die Zukunft der Einrichtung, sonst kommt aus anderen Städten, die ganz klein anfangen, nie etwas.

Und nächstes Mal, so versprachen einige Chöre, sollen wieder mehr echte Chorstücke gesungen werden. Weniger Arrangements also, bei denen noch jedes Schlagerstück ins lässig geschnürte Chorkorsett paßte. Was dann noch vom Anspruch, „Schwules in die Öffentlichkeit“ zu tragen, übrigbleibt, ist ungewiß. Rein äußerlich, so steht zu vermuten, werden sie sich vom metropolen Chic sozialdemokratischer Wahlkämpfer kaum unterscheiden. Es blieb auch in Hamburg kaum mehr als ein Flirt mit dem anderen.