: Japan liebt die „stille Arbeitsebene“ mit Europa
Höflichkeit für EG-Kommissionspräsident Jacques Delors in Tokio/ Droht ein Handelskrieg zwischen der EG und Japan? ■ Aus Tokio Georg Blume
Koji Sugiue, gibt sich freundlich: „Uns kommt der Besuch von EG- Präsident Jacques Delors sehr entgegen. Auch auf hoher Ebene sollten wir jetzt Gesprächskanäle aufbauen, denn der offene Austausch zwischen uns ist sehr, sehr wichtig.“ Koji Sugiue zeichnet als Miti-Direktor verantwortlich für die Tokioter Handelspolitik gegenüber der EG. Das Miti, Japans mächtiges Industrie- und Außenhandelsministerium, hat sich als Brutstätte von Nippons Wirtschaftfolg in der Welt Rang und Namen erobert. Heute jedoch geben seine Protagonisten vor, sich um nichts anderes aufmerksamer zu kümmern, als für Europa und andere Länder Importerleichterungen nach Japan zu schaffen.
So hält es auch Koji Sugiue. Viele Maßnahmen, von Zollerleichterungen zu Promotionskampagnen ausländischer Waren, kann er zitieren, um seinen vorgeblich guten Willen zu beweisen. Er wäre für Jacques Delors, den Präsidenten der EG- Kommission, der kompetenteste Gesprächspartner in Japan gewesen. Doch der hatte diese Woche in Tokio keine konkreten Handelsgespräche, sondern große Gedanken im Sinn: „Verfügen wir überhaupt über gemeinsame Grundwerte mit Japan, wenn wir vom freien Markt und Wettbewerb reden?“ fragte Delors am Donnerstag vor europäischen Unternehmern in Tokio, als hätten Europäer und Japaner erst seit gestern auf der Weltkarte voneinander Notiz genommen. Zwar wurden Delors und Premierminister Toshiki Kaifu nicht müde zu beteuern, daß den europäisch-japanischen Beziehungen in Zukunft eine ähnliche Bedeutung zukommen solle, wie denen, die beide Seiten zu den USA unterhalten. Allerdings hatte Jacques Delors schon während seiner letzten Tokio-Reise vor fünf Jahren mit Ex- Premier Yasuhiro Nakasone die Achse Brüssel-Tokio in der dreigeteilten Welt zwischen Japan, Europa und den USA beschworen. Doch die globalen Träume der Politiker sind fern aller Wirklichkeit.
Noch nie war das Verhältnis zwischen Japan und der EG so unausgeglichen wie heute. Zwar erschien der japanische Handelsüberschuß mit der EG Ende der achtziger Jahre leicht rückläufig. 1990 betrug er 20,7 Milliarden US-Dollar. Seit Jahresbeginn 1991 ist das japanische Handelsplus mit der EG jedoch erneut auf Rekordhöhen geschnellt und hat im April, erstmals seit acht Jahren, den japanischen Handelsüberschuß mit den USA übertroffen.
Nicht nur im direkten Handel, auf nahezu allen Ebenen der Wirtschaft zählt Nippon gegenüber der EG Pluspunkte. Japanische Unternehmen investierten 1990 17 Mal mehr in der EG als umgekehrt EG-Unternehmen in Japan. Von 1988 auf 1989 stiegen die japanischen Investitionen in der EG um 62,4 Prozent auf eine Summe von 14,8 Milliarden US-Dollar.
Nicht nur die europäische Autoindustrie leidet unter diesem Unverhältnis (s. unten). Japan exportierte 1990 1,5 Millionen Pkws in EG-Länder, während nur 190.000 EG-Wagen nach Nippon gelangten. Die wichtigsten europäischen Schlüsselindustrien stehen unter japanischem Druck. Eine Schock ereilte die Brüsseler Industrieplaner vergangenes Jahr, als Nippons Computer-Riese Fujitsu einen 80-Prozent-Anteil des englischen Computerkonzerns ICL aufkaufte. Der EG-eigenen elektronischen Unterhaltungsindustrie wollte sogar Jacques Delors in Tokio nur noch „mittelmäßige“ Überlebenschancen einräumen.
Wie lange der Weg zu gleichgewichtigen Handelsbeziehungen sein kann, exerzieren US-Amerikaner und Japaner freilich seit Jahren vor. Zeitgleich zum Delors-Besuch eskalierten die seit 1989 geführten amerikanisch-japanischen Regierungsgespräche zur Beseitigung gegenseitiger Handelshemmnisse zu einem dramatischen Schlagabtausch, als der japanische Regierungsvertreter den USA die Kultivierung eines „Opferbewußtseins“ vorwarf, worauf die USA Japan vor einem „einschneidenden Verlust ihrer Investitionsmöglichkeiten im Ausland“ warnten. Washington macht bereits die Innenstruktur der japanischen Großkonzerne zum internationalen Politikum, da deren Vertragspraktiken und Zuliefersysteme aus amerikanischer Sicht den freien Wettbewerb nicht ausreichend gewähren läßt. Von solch präzisen Streitpunkten ist der europäisch-japanische Dialog weit entfernt. Noch immer streiten sich Brüssel und Tokio vordergründig über die Höhe der Importquoten für japanische Autos in die EG. „Worum es heute in Wirklichkeit geht, ist technologische und industrielle Abhängigkeit“, erkannte dagegen Kommissionspräsident Jacques Delors.
Genau davon will man im berühmten Miti nichts wissen. „Uns freut“, beteuert Miti-Direktor Koji Sugiue, „daß der japanisch-europäische Dialog bisher nicht unter feindseligen Vorzeichen stattgefunden hat. Dabei war uns sehr daran gelegen, daß die Gespräche mit Brüssel nicht in ein ähnlich unkontrollierbares Fahrwasser wie jene mit den USA geraten.“ Koji Sugiue redet damit von seinen eigenen Verdiensten und gibt gleichzeitig das Motto seiner Europapolitik zu erkennen: Ruhe um jeden Preis, Aufsehen würde nur Ärger erregen.
So sehr der Spitzenbeamte denn auch Jacques Delors in Japan willkommen heißt — er bleibt davon überzeugt, daß die stille „Arbeitsebene“ für die Beziehungen zwischen Brüssel und Tokio das Beste ist. Doch Koji Sugiue hat Angst, daß ihm jemand einen Strich durch sein ruhiges Geschäft macht — Sorgen bereitet ihm Edith Cresson, Frankreichs neue Regierungschefin.
Die Ernennung der Pariserin hat in Japan Entsetzen hervorgerufen. Cresson, die Japan bereits als „Feind“ verurteilte, gilt Nippons Europakennern als rotes Tuch, als „europäische Antwort auf den amerikanischen Kongreßabgeordneten Richard Gephardt“, wie unlängst die englischsprachige 'Japan Times‘ mutmaßte. Als beinahe erfolgreicher Präsidentschaftsaspirant hatte einst Richard Gephardt das populistische Feindbild Japan in den USA neu entworfen und in den Köpfen festgesetzt. Nun grassiert in Tokio die Sorge, Cresson könnte ein ähnliches in Europa gelingen.
„Ich verstehe Frau Cressons Worte als Bedenken und Warnung gleichzeitig“, so Delors in Tokio. „Bedenken, daß es zwischen Japan und Europa zu einer ausgeglichenen Beziehung kommt, bevor die europäischen Unternehmen wettbewerbstüchtiger geworden sind.“ Bei solchem Pessimismus braucht der EG-Chef vermutlich weitere fünf Jahre, bis er wieder die Reise nach Japan antritt. Koji Sugiue würde das vermutlich nicht stören.
Auf den Besuch der französischen Regierungschefin aber ist er vorbereitet: „Frau Cresson erkennt den Zusammenhang zwischen Industriepolitik und Handelserfolgen“, mutmaßt der Miti-Mann. „Ich hoffe, sie wird mit ihrem neuen Wirtschaftsministerium, das ähnlich dem unseren aufgebaut ist, erfolgreich sein.“ Dann hätte Koji Sugiue endlich gleichwertige Gesprächspartner, zumindest in Paris.
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