: Flagschiff wird zur Manövriermasse
Institut für Sozial-ökologische Forschung verliert immer mehr an Bedeutung/ Querdenker bangen um Existenz ■ Aus Frankfurt Heide Platen
Es darf geforscht werden — aber bezahlt wird nix. Daß das Flagschiff der einstigen hessischen rot-grünen Koalition der frühen 80er Jahre sich derzeit ausgerechnet mit dem Wasser beschäftigt, hat seine eigene Ironie. Egon Becker, interdisziplinärer Professor in Frankfurt und Gallionsfigur des Instituts für Sozial-ökologische Forschung (ISÖ), lotete zum fünften Jahrestag die Untiefen aus, in denen der intellektuelle Anspruch gesellschaftskritischer Theorie grüner Prägung in den letzten Jahren versandet ist. Das Institut, vor Jahr und Tag noch in zähen Kämpfen flott gemacht, steht jetzt vor der Einsicht, zur Manövriermasse verkommen zu sein.
Lieb Kind ist das ISÖ mit seinen zahlreichen Forschungsprojekten allerdings nie gewesen. So stieß die Erkenntnis, daß kaum ein Wort des Neudeutschen durch Politik und Medien mehr abgenutzt, verflacht und verkommen ist als der Begriff „Ökologie“, nicht gerade auf stürmische Begeisterung. Die These, daß die Becquerel- Messerei nach Tschernobyl eher der eigenen Beruhigung diene, denn sonst irgend jemandem nützlich sei, verunsicherte die Basis am Geigerzähler gehörig. In der vier Jahre währenden CDU/FDP-Ägide wiederum witterten die zuständigen Sachbearbeiter marxistische Ansätze und drehten den Geldhahn zu. Seit 1989 versuchte das ISÖ auf eigene Rechnung zu überwintern. Daß die ForscherInnen in den letzten Wochen die Erfahrung machten, daß ihnen aus Wiesbaden mittlerweise eher der eisige Wind der Gleichgültigkeit entgegenweht als das Bedürfnis nach wissenschaftlicher Fundierung des eigenen Handelns, hat sie erst einmal verblüfft. Aber wie sich das für universell-unversitäre Menschen gehört, haben sie auch gleich eine Erklärung parat. Der Ökologe Thomas Jahn machte gestern bei den Grünen die „Furcht, nicht normal zu sein“ aus und nannte dieses Phänomen gärtnerisch „das Abschneiden der Orchideen“. Diese Tendenz korrespondiere lückenlos mit dem „Katastrophismus“ der Freizeit, der am Biertisch das Unheil in Bangladesch und die Klimakatastrophe beschwöre. Solche Floskeln implizierten die neue grüne Fortschrittsgläubigkeit, die meine, so Jahn, durch Eingriffe Unheil abwenden oder nach und nach verringern zu können. Egon Becker wandte sich damit auch direkt an Umweltminister Fischer, dem er vorwarf, nachgerade lösungsfetischistisch zu argumentieren. Lösungen der Proble, die ohne „einen selbstdestruktiv wissenschaftlich-technischen Fortschritt nicht bestehen würden“, seien ohne neue wissenschaftliche und technische Eingriffe eben nicht zu bewerkstelligen. Und die haben wiederum Folgen und bedürfen deshalb der Forschung. Und dafür braucht es Forschungsmittel.
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