: Wenn Mann nicht mehr kann
■ Männerberatungsstelle »Mannege« berät über den alltäglichen Psychoterror unter der Gürtellinie: »Ich kann da unten nicht loslassen«/ Häufig sind verdeckte Beziehungsprobleme die Ursache
Charlottenburg. Streß auf dem Klo: Viele Männer schaffen es am stillen Örtchen nur allein — sobald ein Konkurrent auftaucht, versiegt ihr Strahl. Mit dieser nicht seltenen Pinkelhemmung auf dem WC kann Mann noch ganz gut leben. Das entsprechende Problem im Bett, die Ejaculatio retardata, ist da schon fataler. Wenn man erst nach Stunden mühsam kommen kann, hat die oder der andere oft schon die Nase voll.
»Ich kann da unten nicht loslassen« hieß das Thema eines Vortragsabends der Männerberatung »Mannege«. Der Arzt und niedergelassene Psychoanalytiker Professor Peter Diederichs erläuterte vor 35 Zuhörern, was im Unterleib des Mannes passieren kann, »wenn der Körper weiter ist als der Kopf«: Nicht nur, wer zu früh, zu spät oder gar nicht kommt, sondern auch, wer z.B. immer wieder unter Harnröhren-, Blasen- oder Prostata-Entzündungen leidet, den plagen in Wirklichkeit häufig verdeckter Beziehungsprobleme.
Frauenärzte wissen es schon lange: Oft muß der Unterleib als psychosomatische Symptomstelle für seelische Probleme herhalten. Eine amerikanische Untersuchung belegt, daß auch bei Männern 20 bis 40 Prozent aller urogenitalen Beschwerden von seelischen Faktoren zumindest mitverursacht werden — »trotzdem sind Urologen der Psychosomatik viel weniger aufgeschlossen als Gynäkologen«, kritisiert Diederichs. Unnötig verschriebene Antibiotika, überflüssige operative Eingriffe und nur scheinbar kurierte Beschwerden, die dauernd wiederkehren, seien die Folge. Kein Extremfall: die Einpflanzung einer Erektionsprothese in den Penis bei »nur« seelisch bedingter Impotenz.
Schuld treffe allerdings auch die Patienten. Meistens kämen sie zum Urologen »wie mit dem Auto zur Werkstatt« — in der Hoffnung auf eine möglichst einfache und schnelle Reparatur. Die gesellschaftliche Macho-Konditionierung des Mannes verhindere auch in den meisten Urologenpraxen, daß offen über seelische Schwierigkeiten gesprochen wird. Die typische Urologenangst, aufgrund der hauptberuflichen Beschäftigung mit dem männlichen Genital als schwul zu gelten, komme erschwerend hinzu: Gerade ein Urologe gebe sich, weiß Diederichs, oft überbetont männlich.
Auf der eingeengten Suche nach der körperlichen Krankheitsursache überstrapaziere der Harnwegspezialist seinen Patienten oft durch seelisch belastende Diagnosemethoden, z.B. durch eine Blasenspiegelung. Verläuft die Fahndung erfolglos, reagiere der Mediziner zudem nicht selten »gekränkt«: Brüske Diagnosen wie »Sie haben nichts« könnten dann das Leiden des Kranken verschlimmern — ein Teufelskreis, den oft erst der Psychotherapeut durchbrechen könne, meint Diederichs.
Die jungen Zuhörer bestätigten mit Fragen und eigenen Fallberichten die kritischen Ausführungen des Psychoanalytikers. Matthias Bisinger von »Mannege« kündigte die Gründung einer Selbsthilfegruppe zu der Problematik an. Marc Fest
Mannege, Information und Beratung für Männer, Tel.: 8822370.
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