: Ordinärer Trümmerhaufen
■ Elias Canettis „Hochzeit“ am Dresdner Staatsschauspiel
Dresden, so wird berichtet, sei vor der Wende die Hochburg der DDR-Schauspielkunst gewesen: von der Semper-Oper nur durch die luftig-schwarzen Bögen des Zwingers getrennt, habe man im Staatsschauspiel die Schauspielgrößen der DDR gesehen.
An Pfingsten staut sich im historischen Zentrum Dresdens die Touristenkarawane, auf dem Theaterplatz vor der Semper-Oper lagert ein Autoheer. Zwischen Elbe, Zwinger und Albertinum schieben sich die Touristen an der gigantischen Ruine des Stadtschlosses vorbei, das vierzigjährige Naturbelassung zu Natur rückverwandelt hat — mit seinen von Himmel gefüllten Fenstern und seinen von Baumgrün durchzogenen Fassaden ist es ein höchst beeindruckendes und wohl das größte Bombardierungsrelikt auf deutschem Boden.
Jetzt ist das Stadtschloß von einem Bauzaun umgeben, über kleine Leitern kann die Riesenbaustelle dahinter eingesehen werden; der Zwinger ist geschlossen, seine Vorderfront wird von einem Gerüst bedeckt; die Gemäldesammlung ist ins Albertinum ausgelagert; diverse einzelne an ihrer Schwärze erkennbare historische Monumente Dresdens stehen eingerüstet — Dresden ist eine großangelegte Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für den Baubetrieb.
Die zweite Vorstellung von Elias Canettis Hochzeit im modernen Schauspielgebäude ist nur mäßig besucht. Es herrscht eine sehr gedämpfte Atmosphäre in diesem mit Brauntönen ausgeschlagenen Theater — als erwarte man keine Hochzeit, sondern eine Totenfeier. Dabei bläst die Hochzeitskapelle, die durch eine Saaltür einzieht und das Parkett umrundet, zunächst munter auf. Nachdem sie im Eingang des Bühnenhauses verschwunden ist, geht dort wie in einer Puppenstube vor einem Zimmer im ersten Stock der Vorhang hoch. Aber welche Überraschung: in diesem Zimmer im Zentrum Sachsens wird derbstes Bayrisch geredet. Die Enkelin fordert ihre kranke Großmutter auf zu sterben, damit sie endlich das Haus bekommt.
In der Folge werden weitere Zimmer erhellt: ob es die Kleinfamilie rund um ein Neugeborenes oder zwei Geschäftspartner sind, immer geht es, wenn auch ab jetzt auf hochdeutsch, um den Besitz des Hauses. Als die Erleuchtung im Erdgeschoß links unten ankommt, bricht endlich eine junge, in Bonbonpapier gewickelte Dame zur Hochzeitsgesellschaft auf.
Die ist bereits voll im Gange, tobt über den Tisch und die Stühle hinweg. Hochzeit in diesem 1931 von Canetti verfaßten Stück meint in etwa, was sie bei Brecht oder Valentin ebenfalls meint: die Demonstration kleinbürgerlicher Konventionalität, ihrer gesellschaftlichen Maskenhaftigkeit und deren sukzessive Enthüllung im Verlaufe des entartenden Hochzeitsmahles. Was indes dabei hervorkommt, gibt kein abendfüllendes Stück, auch nicht für Dresden, ab: jede/r möchte mit einer/einem anderen als der ihr/ihm abmachungsgemäß Zustehenden ins Bett gehen — zuletzt wird ein Gesellschaftsspiel daraus, in dem sich jede/r seine/n Liebste/n wünschen darf und der Übergang zwischen Tanz und Beischlaf ein fließender ist.
Die Kleinbürgergroteske unter der Regie von Horst Schönemann wird mit allen Mitteln überinterpretiert: jeder Akteur betont seine Laszivität mit möglichst groben darstellerischen Mitteln, schlägt mit vollen Brüsten und Stimmgewalt um sich. Jeder Witz wird zu Tode gebrüllt, das Fließende und Verbindende des Triebes in gespreizte Stellungen und gefrorene Tangoposen gepreßt: schon nach einer Stunde empfindet man jeden Satz in normaler Lautstärke als Erholung, ist man froh um die Musik, die diese kleinbürgerliche Überbietung des Kleinbürgerspiels in Tanz auflöst.
Als sich schließlich alle am Boden wälzen, auch die bayrische Enkelin sich noch darunter gemischt hat, um sich einen alten Geldgeber für ihr Haus zu ervögeln, beginnen die Wände des Hauses zu schwanken, unterbricht ein Erdbeben die gleichförmige Festbeleuchtung, bricht im Liebesspiel Panik aus. Plötzlich erinnern sich die Triebtäter ihrer rechtmäßig Angetrauten, fordern Hilfe, wollen weg — doch jetzt steht der Brautvater als Hüne vor dem Ausgang, läßt keinen entkommen, „Passierscheine gibt es nicht“.
Da senkt sich die Decke hernieder, einer fällt durch den Boden auf die Sterbende aus dem unteren Stockwerk, mann kann gar nicht tief genug fallen, um doch ordinär zu sein — ein Trümmerhaufen bleibt übrig wie draußen vor der Türe, vielleicht wäre es besser, die Ruine würde nicht auferstehen. Michaela Ott
Elias Canetti: Hochzeit , Regie: Horst Schönemann, Bühne und Kostüme: Ursula Müller, mit Rainer Müller, Regina Jeske, Franziska Matthus, Uwe Steimle, Ralf Bockholdt. Staatsschauspiel Dresden, Schauspielhaus
Weitere Aufführungen: 4.,5.und 10.Juni
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