: Neu von Playmobil: Das Stadttheater-Set
■ Vorlage by Pirandello! Und Oberspielleiter Fricsay hatte am Goethetheater einen Heidenspaß mit den „Riesen vom Berge“
Pirandellos Welt hat keinen Boden. Man kommt in ihr nur schwebend von der Stelle, und die Seelchen sind rettungslos frei — wer kann sie erraten, wie sie da flattern durch dichte Bühnennebel aus Trug und Fiktion? Nichts bleibt bestehn und kein Gedanke auf dem anderen, und alle haben, vor Aufregung, das metamorphotische Fieber.
Und erst „Die Riesen vom Berge“, 1931 geschrieben, ein Fragment: Schauspieltrupp verirrt sich und strandet in einem mythenbunten Reich zwischen Traum und Tod, wo zaubermächtiges Spukgelichter haust. Was für ein Stück womöglich für den alten Buben Andras Fricsay Kali Son! Voller Blitze, Witze und Verwandlungen: ein Elysium der Theatereffekte!
Leider hat Fricsay am Goetheplatz nicht allein inszeniert, sondern sich grausam dreinwerkeln lassen vom scheidenden Oberspielleiter gleichen Namens, der jetzt erst recht beweisen will, daß Ballaballa populär macht. Er schmeißt also dem Publikum nach, was er fürchtet, daß es will, und gibt, aus Verachtung, immer noch 20 Prozent Trara obendrein.
Dabei hat ihm Dieter Klaß eine wundersam schöne Spielwelt aufgebaut: vieleviele bunte Klötze türmen sich und leuchten in allen Smartie-Farben. Hausgiebel ra
Jubel, Trubel und Dreivierteltakt im Baukasten: „Die Riesen vom Berge“ Foto: Jörg Landsberg
gen auf und haben reichlich Türen für Ein und Aus und sonstigen Transit. Und alles ließe sich beliebig rangieren, meinetwegen zu
Serien visueller Pop-Poesien. Bei Fricsay, der vor jeder Spielkiste ganz tief in die Populisten-Hocke geht, sieht das sehr schnell nach
hierhin bitte
das Foto
von der sich drehenden
Tänzerin
einfältigem Plastik aus: wie ein neues Set von Playmobil.
Es regiert der Kreischegag. In schneller Folge verputzen wir: 3
Musicaleinlagen, 2 Schlager, 1 Anrufung des Größten (“Allah akbar“), zahlreiche implantierte Couplets, gesungen z.B. von 1 original Cherubinischen Wandersmann (“Ich bin, ich weiß nicht, wer“), 1 leibhaftigen Weltmusiker links vor der Bühne, dann am Ende 2 haushohe Riesenpatschfüßchen — aber vorher noch...das erraten Sie nie!
Doch? Wahrhaftig: 1 monumentale Coladose! Unter uns Regisseuren: das Denkmal des So- Seienden! Kühn. Vollstoff volle These gegen dieses Mysterienspiel der Riesen vom Berge. Pirandello aus der Dose: Da hätte selbst der Autor gelacht, dieser selten glückliche Hausfreund der Eheleute Sein und Schein.
Wer Pirandello aufführt, sollte dessen wehrlos feine Kunstgespinste wenigstens sichtbar machen können, bevor sie trendmäßig gehäckselt und klamaukisiert werden. Da hätte das Publikum viel zu tun. Viele Haken wollen hinterhergeschlagen und viel Ungreifbares begriffen werden. Bißchen Gelassenheit auf der Bühne möchte da nützen, präzises Sprechen ist unverzichtbar. Am Goetheplatz aber schnurrt uns Deklamation in die Ohren, gern unterbrochen von Kieksen, Plärren und Gegicker.
Neben dem nächtlichen Zauberer Cotrone ist zum Beispiel die Hauptfigur eine Gräfin Ilse, Chefin der Schauspieltruppe — ausgerechnet diese macht Fricsay zu einem krakeelenden Nervenbündel, ausgerechnet diese seine Kollegin Oberspielleiterin. Dabei soll man ihr (Angelika Bißmeier) soviel abnehmen: den Bühnendichter, der sich ihretwegen entleibt hat, sein Stück, das sie aufführen läßt als Abgesandte seines Letzten Willens, die ganze treibende Kraft. Ach nein.
Ja, die Ausnahmen! Schon! Der ganze zweite Teil des Abends will als Ausnahme durchgehen. Plötzlich ist Raum und Zeit für leisere Spiele und starke Bilder. Aber zu spät, selbst für die Seifenblasen-Magie, die sonst immer gut ankommt. Nach dem langen Regiment der Destruktionsregel, nach lauter Geklingel und Gedröhn hilft alles nicht mehr — die Hälfte hat man schon versäumt. Und, weit schrecklicher: die Rückkehr zum Theater ist womöglich der letzte, allerschrillste Gag. Applaus bei der Premiere am Sonntag, Buhs für Fricsay. Manfred Dworschak
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