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Dioxin! Schule für 285 Kiinder dicht

■ Sittensen: Sportanlage und Parkplatz in Nähe der Grundschule hochgradig verseucht

Dioxin. 10.000 Nanogramm von diesem hochgiftigen Stoff wurden auf dem Parkplatz neben der Grundschule in Sittensen gefunden. Die Gemeinde ließ die Schule kurzerhand schließen. Bis auf weiteres soll dies auch so bleiben, um die Kinder nicht zu gefährden. Dies entschieden Gemeindedirektor, Schulleitung und Schulrat gestern. Die 285 Kinder müssen deswegen in den beiden anderen Schulen am Ort mitunterrichtet werden: In den Fach-und Werkräumen und am Nachmittag — wenigstens bis zum Beginn der Sommerferien in fünf Wochen.

Doch es kam noch schlimmer: 26.900 Nanogramm Dioxin pro Kilogramm Boden, das signalisierte der TÜV Hannover gestern dem Gemeindedirektor, wurden obendrein auf einer Sportanlage in Sittensen gemessen. Sie wurde gesperrt und mit Folie abgedeckt. (Der vom Bundesgesundheitsamt festgelegte, von Toxikologen und Medizinern als zu hoch kritisierte Grenzwert liegt bei 100 Nanogramm).

Sittensen, ein 9.000 Einwohner starker Gemeindeverbund zwischen Bremen und Hamburg, hat damit zwei Dioxinskandale auf dem Tisch, denn das Gift stammt aus unterschiedlichen Quellen:

Der Parkplatz Kurze Straße wurde in den 70er Jahren mit Schlacke aus einer Hamburger Müllverbrennungsanlage gepflastert, die von den Betreibern in Hamburg-Stellingen unbedarft mit hochgradig dioxinhaltigen MVA-Filterstäuben vermischt worden war. Auf dem Sportplatz dagegen war Kieselrot-Schlacke aus dem hessischen Marsberg verbaut worden.

Damit hatte sich bestätigt, was Gemeindedirektor Wallin nach Bekanntwerden des bundesweiten Kieselrot-Skandals eigentlich ausschließen wollte, als er den TÜV in Hannover mit den Analysen beauftragte.

Mit den Dioxinfunden diskutieren die Sittenser BürgerInnen ein vor anderthalb Jahren entdecktes Phänomen aus neuer Perspektive. Mainzer Wissenschaftler, die das Kinderkrebsregister aufbauen, hatten nämlich entdeckt, daß in Sittensen die Leukämierate bei Kindern elfmal höher ist als im Bundesdurchschnitt. Von den sieben an Blutkrebs erkrankten Kindern sind inzwischen sechs gestorben.

Mit einer breit angelegten Studie suchen das niedersächsische Sozialministerium und die Gesundheitsbehörden seither nach den Ursachen. Bisher gab es neben zahllosen Negativbefunden nur ein vielversprechendes Indiz: Alle betroffenen Kinder waren als Kleinkinder, z.B. wegen Fehlstellungen des Hüftgelenks, geröntgt worden.

Nach Dioxin hatte man dagegen bisher vergeblich gesucht — vor allem im Umkreis der örtlichen Ziegelei: Weder in Rindern, die dort grasten, noch in der Muttermilch, die dazu hätte Hinweise liefern können, fanden sich entsprechende Spuren.

Heute will die Gesundheitsbehörde beschließen, ob mutmaßlich belastete Kinder in der Nähe der jetzigen Fundorte vorsorglich untersucht werden sollen. Birgitt Rambalski

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