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Schwaben schweifen nicht

■ Eröffnungsabend des Theatertreffens der Jugend in der Theatermanufaktur

Ganz im Zeichen der Zwölf wollte man am Sonntag abend das 12. Theatertreffen der Jugend, das in diesem Jahr im Stadthaus Böcklerpark und der Theatermanufaktur stattfindet, einläuten. 'Kanal 12‘ nennt sich die festivalbegleitende Zeitung von Schülerzeitungsredakteuren, zwölf Workshops, in denen die eingeladenen Gruppen zwei Tage lang arbeiteten, sollten sich zur Eröffnung präsentieren — natürlich unter Themen wie »Die zwölf Geschworenen« oder »Die zwölf Apostel«.

Dabei geht es gerade in diesem Jahr darum, zwei getrennte Jugendtheaterlandschaften unter einen Hut zu bringen, so daß man, wie der Leiter des Treffens, Hans Chiout, formulierte, voneinander lernen kann, aber »auch die Chance hat, sich gründlich mißzuverstehen«. Eine große Aufgabe, in einem Augenblick, in dem mit dem Wegbrechen der alten Strukturen in den neuen Ländern auch die Eigenart der DDR-Kultur ihre Stimme verliert.

Immerhin blieb die Schallgrenze, was das Alter der Auserwählten betrifft, die Zwölf: Unterhalb des Mittelstufenalters mochte sich die Jury, anders als in den vergangenen Jahren, für keine Gruppe entscheiden. Zwar hatte im letzten Jahr eine Grundschulklasse mit einer feinsinnigen Liebesgeschichte zwischen zwei Achtjährigen auch die Älteren hingerissen. Bei den Diskussionen aber hatte sich gezeigt, daß die Kriterien, nach denen ein Stück bemessen wird, zwischen acht und achtzehn stark voneinander abweichen. Und mit acht hat man wohl auch noch anderes zu tun, als zu diskutieren. So macht nur die Einbeziehung mehrerer altersgleicher Gruppen Sinn oder, wie die Jury anregt, ein eigenes Treffen.

Zu Beginn des achttägigen Treffens, das nach den Worten Chiouts keine »Hitliste der Besten« sein, sondern Anregungen über Ländergrenzen hinweg vermitteln will, sollten sich die eingeladenen Gruppen in Workshops vermischen. Im vollbesetzten Saal der Theatermanufaktur wurden die Ergebnisse enthüllt. Aus dem Dunkel leuchteten phosphoreszierende Instrumente auf. Zu Mozarts Kleiner Nachtmusik tanzten anmutige Notenlinien, die von schrägen Klängen, grelleren Farben und elastischen Saxophonhälsen ins Off vertrieben wurden. Im Workshop »Die zwölf Tierkreiszeichen« räkelten sich maskierte Wesen auf ihrem Stuhl, langnasige, hitzige, verstockte, breitbeinige Charaktere. Und in der Arbeitsgruppe »12 Uhr mittags/High Noon« stand eine ganze Ansammlung cooler Cowboyhutträger auf der Bühne, die sich gegenseitig in gelassenem Nichtstun zu übertreffen suchten: mit kleinsten Bewegungen, einem Huttippen, einem bedeutungsvollen Blick oder einer gekonnten Lucky-Luke-Pose. Fast umgekehrt verfuhr der Workshop »Zwölf Kilometer S-Bahn«, der Verkehrsimpressionen, Tonchaos, Sprachfetzen und szenische Assoziationen aneinanderreihte und eine Art Rhythmus daraus entstehen ließ. In wenigen Minuten breitete sich ein ganzes Panorama von Alltagsdramatik aus, indem die Anmache einer Frau ebenso vorkam wie die Kurzgeschichte eines Mannes, dessen Hand beim vorzeitigen Aussteigen beinahe zerquetscht worden wäre.

Bevor die Workshops sich wieder zu Theatergruppen umschichteten, die in kurzen Werbespots eine Vorschau auf die kommenden Inszenierungen lieferten, kamen noch die Kulturpolitiker zu Wort. Staatssekretär Lammert vom Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, mit dessen Mitteln — seit 1980 4,5 Millionen Mark — das Theatertreffen der Jugend gefördert wird, machte es kurz. Es gebe Augenblicke, da träfe alles zuvor Zurechtgelegte nicht den richtigen Ton, und dieser Abend sei einer. Anders der frisch gekürte Berliner Schulsenator Klemann: Polgar, Goethe und Fontane mußten zum Grußwort antreten. Als er schließlich anhub, ins 16.Jahrhundert zu schweifen, in dem man auch schon Theater an den Schulen gespielt habe, wurde er von ohrenbetäubendem Schlußbeifall unterbrochen. Doch hielt er tapfer durch und schloß mit dem (eigenen?) Wunsch, »daß der Mensch mehr verbindet als der Trend«.

Nach Urkundenvergabe und besten Wünschen schritt man dann nochmalig zur Tat. Kaum eine Gruppe zeigte einfach eine Szene aus ihrem Stück, sondern bemühte sich um schlagende Pointen. Beschränkung auf das Wesentliche scheint Theateramateuren leichter zu fallen als Politprofis. Die Spielschar des Helmholtz-Gymnasiums Essen stellte sich nur mit Buchstabentafeln bewaffnet auf die Bühne. Bis sich die Letternträger letztgültig gruppiert hatten, ergaben sich eine Menge Lesarten: Wer kann schon entscheiden, ob »NEU DDR SUCHT NIE STREIT«, »DU CHRIST TESTE DEN URIN« oder »DIE UNTERRICHTSSTUNDE« die richtige Version ist, die heute abend aufgeführt werden soll?

Noch lakonischer gab sich die einzige Teilnehmerin aus dem Berufsschulenbereich, die Theater-AG der Beruflichen Schulen Tübingen, die sich am Mittwoch und Donnerstag mit der Eigenproduktion Irgendwie oder vorstellt. Nach einem einsamen Gitarrenintro setzte sich ein zweiter junger Mann dazu, schlug ein Buch auf und kündigte in feierlichem Schwäbisch an: »Vom Sparen«. Nach einer Kunstpause kam er zum Wesentlichen: »Licht sparen und im Dunkeln laufen«. Prompt ging das Licht aus. Irgendwie oder eine Paraphrasierung von Heinrich Spoerls Paukermelodram Feuerzangenbowle. Eine weitere Eigenproduktion, Das verlorene Lächeln, tritt ebenfalls heute abend mit ganzen 25 Mitwirkenden zu einer Improvisation über Märchenmotive an. »Von Lust, Moral und einer Wiege« soll das Villon-Sachs-Bocaccio-usw.- durchmischte Stück der Theatergruppe des Herzog-Christian-August-Gymnasiums Sulzbach-Rosenberg handeln, das nach eigenen Bekundungen mittels basisdemokratischen Chaos entstand. Eine reine Mädchencrew, die Theatergruppe der Städtischen Anne-Frank-Realschule München-Pasing, beschäftigt sich in ihrer Bearbeitung des Jugendbuchs Geheime Freunde mit der Ausgrenzung eines jüdischen Mädchens, in das sich ein amerikanischer Junge verliebt. Nicht zuletzt wird beim Treffen zweimal Shakespeare gespielt: Dramatisch wird es am Mittwoch, wenn sich das Theater in der Senke der EOS »Karl Liebknecht« aus Frankfurt/Oder an Perikles versucht, »mundgerecht« geht das Treffen am Freitag zu Ende, beim Was Ihr Wollt- Musical der Theatergruppe »Theatergeister« aus Rostock. Dorothee Hackenberg

Theatertreffen der Jugend, Vorstellungen täglich bis 31. Mai. Heute, 16.30, Das verlorene Lächeln in der Theatermanufaktur, 20 Uhr Die Unterrichtsstunde im Stadthaus Böcklerpark. Weitere Termine siehe Programmteil.

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